1.3.06

(r)echtschreibreform

Nicht nur Revolutionen(*), auch Reformen sind in Deutschland ein zähes Geschäft. Ein Beispiel ist die Rechtschreibreform. Beschlossen im Jahr 1996 wartet sie immer noch auf ihre Umsetzung. Auch nach Ablauf einer neunjährigen Übergangsfrist im Juli 2005 orientieren sich fast 200 Zeitungen und Zeitschriften weiterhin an den vor der Reform üblichen Rechtschreibregeln oder verwenden ihre jeweils eigene Mixtur aus alten und neuen Regelungen. Buchverlage entwickeln eigene "Hausschreibungen" und selbst die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen verweigern den Reformern die Gefolgschaft. Im Jahr 2004 wurde ein Rat für deutsche Rechtschreibung eingesetzt(**), der sich selbst als "die Antwort auf die anhaltende Kritik an der so genannten Rechtschreibreform" versteht. Auf Weisung der Ministerpräsidenten- und Kultusministerkonferenz befasste er sich zunächst allerdings nur "mit den strittigsten Fragen der bestehenden Neuregelung der Rechtschreibung, nämlich der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Zeichensetzung und der Worttrennung am Zeilenende". Am Rosenmontag legte er der Kultusministerkonferenz der Länder dann seine Empfehlungen zu Änderungen der Rechtschreibreform vor. Die Kultusministerkonferenz will die Änderungen Ende der Woche beschließen, so dass sie nach den Sommerferien in den Schulen umgesetzt werden können.

Ist die Reform damit gelungen? Die Antwort ist, wie so oft, ein klares Jein. Formal kann die Rechtschreibreform nun in Kraft treten. Buch- und Zeitungsverlage wie auch die bisher kritischen Bundesländer haben bereits signalisiert, dass sie die neuen Empfehlungen akzeptieren werden. Inhaltlich hat die Reform ihr wichtigstes, revolutionärstes - aber auch sprachfeindlichstes - Ziel jedoch klar verfehlt. Der Versuch, Groß- und Klein-, Getrennt- und Zusammenschreibung nicht mehr an (letztlich subjektiven) Bedeutungs- und Betonungsunterschieden festzumachen, sondern ausschließlich über formalgrammatische Kriterien zu regeln, ist gescheitert. Die entsprechenden Empfehlungen des Rates lesen sich wie eine Dokumentation deutscher Reformohnmacht. Am vorläufigen Ende eines zehnjährigen Reformprozesses wurde in weiten Bereichen nicht mehr erreicht, als die schon immer bestehenden informellen Schreibregeln mit all ihren Ungreimtheiten nachträglich amtlich zu fixieren. Im Zeitalter des angeblichen Bürokratieabbaus eine bemerkenswerte Leistung.

Schon 1998 hatte der deutsche Bundestag festgestellt: „Die Sprache gehört dem Volk!“. Der bürokratischen Umsetzung dieser bahnbrechenden Einsicht in 16 Bundesländern und auf der Ebene des Bundes steht nun nichts mehr im Wege.

*) "Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!" (Lenin). Noch gnadenloser ist Alfred Döblin: "Eine deutsche Revolution. Also keine."

(**) Wie immer wenn die heillos verflochtenen und sich gegenseitig blockierenden politischen Institutionen des deutschen Föderalismus nicht mehr weiter wissen wurde die Entscheidungsvorbereitung einer externen Expertenkommission übertragen. Damit es zu keinen überraschenden Ergebnissen kommt, wurde der Rat allerdings mehrheitlich mit Reformbefürwortern besetzt. Das begrenzte Mandat auf die "strittigsten Fragen" der Rechtschreibreform sollte außerdem sicherstellen, dass auf keinen Fall die Reform als Ganzes in Frage gestellt würde.

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