deutscher herbst
Wenn es dunkel und kalt wird in Deutschland holen viele Menschen die Strandfotos des letzten Sommerurlaubs hervor, um sich an ihnen ein wenig zu wärmen. Doch in einem Land, in dem Glück und Wohlergehen meist als Teil eines Nullsummenspiels verstanden werden, wecken Urlaubsfotos nicht nur gute Erinnerungen, sondern auch unterschwellige Ängste und Sorgen. So kommt es, dass sich die Bundestagsfraktion der Linken mitten im Herbst Sorgen um die Wirksamkeit europäischer Sonnencremes macht und jeden, der sich eincremt, eindringlich warnt sich deshalb bloß nicht "unangemessen" sicher zu fühlen.
Die dahinterstehende Logik ist ebenso simpel wie allgegenwärtig: Je mehr man versucht, die offensichtlichen Risiken der eigenen Lebensführung zu vermindern, desto schwerer wiegen die zuvor unbemerkten Restrisiken. Risikominimierung wird dadurch zur Daueraufgabe und Daueraufgaben sind bekanntlich etwas für den Staat und seine Verwaltung. Da diese Logik nur eine Richtung kennt, scheint der Wandel zum Sicherheitsstaat kaum mehr zu stoppen. Sein Ziel ist es, alle Bereiche der privaten Lebensführung umfassend zu regulieren. Er ist die paradoxe Kehrseite einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die den Staat aus dem Wirtschaftsleben so weit wie möglich heraushalten will.
Wie weit sich der Staat schon mit seiner neuen Rolle als Aufseher der bürgerlichen Privatsphäre abgefunden hat, erkennt man daran, dass der Bundestag vor dem Hintergrund zusammenbrechender Finanzmärkte nichts besseres zu tun hat, als über die Restrisiken hochwirksamer Sonnenschutzmittel zu debattieren. Und daran, dass sich offenbar kaum jemand darüber wundert.
Labels: dialektik der belehrung, von wohlfahrts- zum sicherheitsstaat
1 Comments:
"Er ist die paradoxe Kehrseite einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die den Staat aus dem Wirtschaftsleben so weit wie möglich heraushalten will."
Dieser Schwenk erscheint mir dann doch zu absurd. Vor allem vor dem Hintergrund, dass man Rhetorik nicht mit Praxis verwechseln sollte. Dieser Staat mag vieles tun, aber aus dem Wirtschaftleben hält er sich heute so wenig heraus wie früher. Wenn nicht weniger.
Aber ansonsten kann ich dir nur zustimmen.
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