5.6.07

die bierzelt-bordell logik

Komplizierte gesellschaftliche und natürliche Prozesse stellen wir uns gerne als Kreislauf vor. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die geometrische Form des Kreises eine extrem beruhigende Wirkung hat: wer im Kreis läuft kann nirgendwo anecken und wenn er am Ende angelangt ist, geht es gleich wieder von vorne los.

Dank dieser Eigenschaften bietet sich der Kreislauf als ideales Funktionsprinzip des politischen Systems an: Zuerst wird ein Problem von der Politik wahrgenommen. Dann werden Lösungen gesucht, in Gesetze gefasst und vollzogen. Schließlich wird der Erfolg der Regelung bewertet und das Programm entweder mit neuen Zielen und Instrumenten fortgeführt oder beendet. Die Politikwissenschaft hat dazu das Modell des policy cycle erfunden.

Doch leider stimmt das Modell eines immer wiederkehrenden Politikzyklus nicht ganz mit der Wirklichkeit überein. Politik ist kein sich selbst erneuernder Kreis, sondern ein umgekehrter Trichter, ein immer weiter ausuferndes Delta. Ihre geometrische Form ist die eines Organigramms. Ihr wichtigstes Strukturprinzip ist die Verästelung. Warum das so ist? Weil Politik nicht nur Probleme löst, sondern mit jeder Problemlösung eine Vielzahl neuer Probleme erst sichtbar macht, die wiederum gelöst werden müssen. Jedes Gesetz zieht andere Gesetze hinter sich her, weil zwischen den vorhandenen Gesetzen automatisch Gesetzeslücken entstehen. Je mehr Einzelaspekte des Lebens geregelt sind, desto mehr vergleichbare Aspekte existieren, die noch nicht geregelt sind.

Familienministerin von der Leyen hat diese versteckte Logik der Politik vor einiger Zeit in einer Pressemitteilung zum Prostitutionsbericht der Bundesregierung auf den Punkt gebracht:
"Für jedes Bierzelt braucht man eine Genehmigung, aber ein Bordell kann man ohne Erlaubnis betreiben."
Man kann daher auch von der Bierzelt-Bordell Logik der Politik sprechen. Die Bierzelt-Bordell Logik verweist auf eine inhärente Dynamik des politischen Systems, den eigenen Zuständigkeitsbereich mit Hilfe der rhetorischen Form der Analogie ständig zu erweitern. Diese Expansionslogik spricht nicht grundsätzlich gegen Politik und Recht. Aber sie sollte vorsichtig machen bei der allzu reflexhaften Forderung nach zusätzlichen Gesetzen. Denn grundsätzlich kann das Bierzelt-Bordell Argument auch umgedreht werden.

Wenn zum Beispiel die Bundestagsfraktion der Linken in einer kleinen Anfrage beklagt, dass der Beruf des "Tierheilpraktikers" im Gegensatz zu dem des Tierarztes und des Tierarzthelfers keinen bundesrechtlichen Vorschriften unterliegt, sondern nur "indirekt durch arzneimittelrechtliche, tierseuchenrechtliche, tierschutzrechtliche und betäubungsmittelrechtliche Vorschriften geregelt" wird, dann könnte man auch fragen, warum es nicht ausreichen sollte, Berufe grundsätzlich nur über indirekte Bestimmungen zu regeln.

Etwa so wie den Beruf des Politikers. Der ist auch nicht an eine bestimmte, gesetzlich vorgeschriebene Ausbildung gebunden, sondern kann prinzipiell von jedem ausgeübt werden. Und im Gegensatz zum Tierheilpraktiker muss der Politiker noch nicht einmal alle betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften kennen. Für etwaige leichtere Verstöße gibt es ja die politische Immunität.

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4 Comments:

Blogger moi said...

ja, das ist gut: einerseits der euphemismus von problemen schaffen als sichtbarmachen bezeichnen - klar, immer eine frage der perspektive - und andererseits diese bierzelt-bordell logik... gefällt mir...
und à propos betäubungsmitteln habe ich dies heute gesehen.

schönen abend

5/6/07 22:37  
Anonymous Anonym said...

Klingt nicht Bierzelt-Bordell-Paradoxon besser?

6/6/07 14:08  
Blogger la deutsche vita said...

@ marc

Kommt auf den Blickwinkel an. Wenn man die Bierzelt-Bordell Diskrepanz als Paradoxon bezeichnet, dann hat man schon den ersten Schritt getan, gleiche Regelungen für alle Bereiche des Lebens zu fordern. Das Paradox wird dann durch eine gleichmäßige Regelung (bzw. Nichtregelung) aufgelöst. Dieser Drang, das Paradox der ungleichen Regelungsstärke auflösen zu müssen, ist dann die Logik, die ich meine. Die Logik des immer-mehr-regulieren-müssen.

6/6/07 15:48  
Blogger moi said...

klingt auch nicht schlecht, aber paradoxien haben es doch an sich, dass man sie eben nicht auflösen kann - oder seh ich das falsch?

6/6/07 19:30  

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