20.4.07

"der staat als gefängnis" oder: wie das benthamsche panoptikum zum modell des modernen überwachungsstaates wird

Rasterfahnung, Videoüberwachung, biometrische Gesichtserkennung, RFID-Chips, Online-Durchsuchung, großer Lauschangriff, Bewegungsprofile, Vorratsdatenspeicherung, Fingerabdrucksdaten im Personalausweis ...

... nach langem Zögern scheint unser Staat nun endlich fest entschlossen, seine Bürger rund um die Uhr und mit allen verfügbaren Mitteln zu überwachen. In dem Maße, in dem die Sozialpolitik an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit stößt, scheint sich die Politik in der Sicherheitspolitik ein neues Tätigkeits- und Legitimationsfeld zu schaffen. Deutschland ist auf dem Weg vom Wohlfahrts- zum Sicherheitsstaat - und greift dabei ausgerechnet auf ein uraltes Modell des Utilitaristen und Sozialreformers Jeremy Bentham zurück: das Panoptikum.

Das Panoptikum ist ein ein Gefängnis, in dem der Wärter von einem zentralen Punkt aus alle Gefängnisinsassen beobachten kann, ohne selbst von ihnen gesehen zu werden. Die Gefangenen sollten sich ständig beobachtet fühlen. Ziel war es, mit möglichst geringem tatsächlichen Überwachungsaufwand ein Höchstmaß an Angst vor der Entdeckung zu erzeugen. Dabei ist das Prinzip des Panoptikums nicht auf die Konstruktion von Gefängnissen beschränkt. Bentham selbst hat auf die Möglichkeit seiner Übetragung auf andere gesellschaftliche Einrichtungen wie Fabriken, Irrenhäuser, Schulen oder Krankenhäuser hingewiesen. Michel Foucault hat in seinem Buch "Überwachen und Strafen- die Geburt des Gefängnisses" das Panoptikum später als allgemeines Ordnungsprinzip westlich-liberaler Gesellschaften erkannt. George Orwell und nach ihm eine Vielzahl von Science-Fiction Büchern und Filmen haben die Möglichkeit eines Überwachungsstaates schließlich einem großen, zutiefst erschrockenen Publikum nahegebracht.

Wie so oft in der Geschichte war die Theorie der Realität jedoch so weit voraus, dass beim Eintreffen der Realität die Theorie längst in Vergessenheit geraten war. So kommt es, dass die relativ harmlosen Überwachungsversuche der 70er und 80er Jahre von riesigen Protesten begleitet wurden, während die jüngsten massiven Eingriffe in die Privatsphäre bei den Bürgern kaum mehr als ein Achselzucken hervorrufen - eine Ungleichzeitigkeit von Problembewusstsein und problematischer Realität, die möglicherweise ein grundsätzliches Strukturprinzip moderner Gesellschaften darstellt. Jedenfalls führt diese Ungleichzeitigkeit zu der Paradoxie, dass ausgerechnet die frühzeitige Warnung vor riskanten Entwicklungen Gewöhnungseffekte erzeugt, die den Eintritt dieser Risiken Jahrzehnte später erst ermöglicht.

Waren es am Ende gerade Foucault und Orwell, die mit ihrer aufklärerischen Kritik an den sublimen Techniken der Macht unserer heutigen abgeklärten Gleichgültigkeit den Weg bereitet haben? So weit kann man sicher nicht gehen. Aber vor dem allgegenwärtigen Blick des Panoptikumswärters konnten sie uns nicht schützen.

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[Nachtrag: die Analogie zum Benthamschen Panoptikum gab's - wie ich gerade sehe - auch schon hier]

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1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Vielen Dank für die umfangreiche Linkliste!

25/4/07 02:03  

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