guck mal, wer da spricht
"Wir sind fast 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union. Wir sind in wenigen Jahren neun Milliarden Menschen auf der Welt. Das heißt, im Durchschnitt muss ein Europäer noch 17 andere von uns und unseren Ideen überzeugen, bevor wir die Welt überzeugt haben. Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren es drei andere; da war jeder vierte Mensch auf der Welt Europäer. Heute ist nur noch jeder 12. bis 14. Mensch Europäer."Es wird zwar auch beim zweiten und dritten Lesen nicht ganz klar, was diese Worte genau bedeuten sollen. Aber der feste Wille unserer Bundeskanzlerin, das seichte Wasser politischer Ansprachen zu verlassen und auch vor komplexen Zusammenhängen nicht zu kapitulieren, ist unverkennbar. Überhaupt geizt ihre Rede beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) nicht mit vielschichtigen Aussagen und wer zwischen den Zeilen lesen kann, der findet dort so ziemlich alles, wonach er gerade sucht. Schön ist zum Beispiel, wie sie die Worte "erfüllen" und "durchsetzen" scheinbar verwechselt, mit dieser Verwechslung aber die gesamte Expansionsstrategie der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten und deren Rückendeckung durch die EU Kommission und das Bundesverfassungsgericht in Frage stellt:
"Die EU-Kommission hat entschieden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland seinen Auftrag grundsätzlich auf allen Übertragungswegen durchsetzen kann, also auch im Internet. Diese Entscheidung respektieren wir. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zur GEZ-Gebühr im September die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von staatlicher Einflussnahme noch einmal klar unterstrichen. Diese Unabhängigkeit umfasst nicht nur Programmfragen, sondern auch ökonomische Fragen. Damit sind auch die Handlungsspielräume des Staates etwas eingeschränkt. Aber das kann nicht heißen – ich will das ganz deutlich sagen –, dass dem Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten keine Grenzen gesetzt wären."Mit einfachsten Stilmitteln gelingt es der Kanzlerin (oder ihren RedeschreiberInnen), die kafkaeske Verselbständigung der öffentlich-rechtlichen Anstalten in all ihrer Absurdität zu charakterisieren. Aufträge sind nicht da, um erfüllt zu werden, sondern werden gegen den Willen des Auftraggebers und eines immer größeren Teils der "Leistungsempfänger" durchgesetzt. Schlimmer noch, der Staat ist offenbar zu schwach, dem Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten überhaupt noch Grenzen zu setzen, denn die genießen nicht nur programmatische, sondern auch finanzielle Unabhängigkeit.
Und mit ebenso einfachen Stilmitteln erklärt die Kanzlerin, dass sich das auch in Zukunft nicht ändern wird, dass sie sich mit ihrer Rolle als einflusslose Hausmeisterin in Kafkas Schloss längst abgefunden hat:
"Ich finde, man hat Anspruch auf pünktliche Nachrichtensendungen in der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung. [...] Kontaktbörsen oder nicht programmbezogene Chats sind von der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung weit entfernt."Eine öffentlich finanzierte Grundversorgung, die alles umfasst außer Kontaktbörsen und nicht-programmbezogenen Chats. Das ist keine medienpolitische Utopie, wie es der beherzte Duktus der Rede suggerieren soll, sondern die ironisch-resignative Paraphrase des Status Quo.
Aber auch das menschlich-einfühlsame Element darf in ihrer Rede nicht fehlen und so sorgt Merkel sich am Ende ihrer Rede schnell noch um die Gefühle von ausländisch aussehenden Deutschen in unserer Medienlandschaft:
"Wenn man sich einmal in die Situation von Mitbürgern ausländischer Herkunft versetzt, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, aber einfach auch durch ihr Aussehen repräsentieren, dass sie aus anderen Ländern kommen, und feststellt, welche Rollen solche Menschen zum Beispiel als Schauspieler oder als Moderatoren in unseren Fernsehangeboten spielen – wenn beispielsweise ein Farbiger sagt: Ich würde auch gern einmal eine Bürgermeisterrolle spielen; ich bin schon zwanzig Jahre deutscher Staatsbürger, kriege aber immer nur den Kriminalfall angehängt und noch nicht einmal dessen Aufklärung – dann verspürt man, wie das Lebensgefühl aus der Sicht von Migranten ist. Deshalb, glaube ich, haben hier die Medien eine sehr, sehr entscheidende Aufgabe."Vielleicht ist das ja der neueste Trend der politischen Kommunikation. Kreativ, witzig, sachkundig, kritisch. Und politisch absolut folgenlos.
Labels: politik, reden ist silber, ungetestete hypothesen
3 Comments:
interessant. ich habe nämlich letzthin bei einer rede der bk gerade den umgekehrten eindruck gewonnen: ihre sprache sei ungemein schlicht gehalten. kurze sätze, fast an umgangssprache gemahnende wortwahl.
aber who knows, welcher auftrag da gerade ein-, durch- oder auch aufgesetzt wurde.
danke für's aufmerksam machen jedenfalls.
@ kopffuessler
Du hast Recht. Es gibt bei der Kanzlerin interessanterweise eine große Diskrepanz zwischen dem gesprochenen und dem geschriebenen Wort. Sie spricht schlicht, umgangssprachlich, fast amateurhaft. Inhaltlich sind ihre Reden dagegen immer sehr sachlich, sachkundig und fast schon detailversessen. Mit diesem Kontrast suggeriert sie gleichzeitig Volksnähe und technokratische Expertise. Dadurch sichert sie sich in alle Richtungen ab. Die einen finden sie sympathisch, die anderen finden sie kompetent und einige finden sie sogar sympathisch und kompetent. Kaum jemandem fällt dabei auf, dass sie eigentlich nie eine eindeutige Position bezieht.
ich finde sie unheimlich. das ist auch nicht gerade kompetent, nur unzureichender ausdruck meiner empfindungen. mag aber daher rühren, dass sie keine position bezieht. wie soll man da seinerseitz zu ihr position beziehen. also erstmal distanz.
Kommentar veröffentlichen
<< Home