28.6.06

schlaglichter

Jeden Dienstag um 11 Uhr lernen wir ein bisschen mehr über Deutschland. Dann veröffentlicht das Statistische Bundesamt die Zahl der Woche. "Eine kurze und einprägsame Meldung im Wechsel aus verschiedenen Bereichen der amtlichen Statistik", so die amtliche Selbstbeschreibung. Oft steht die "Zahl der Woche" in Bezug zu einem aktuellen Ereignis oder einer aufflammenden politischen Debatte. Dann wirft sie ein kurzes, rasch wieder erlöschendes Schlaglicht auf das Land und seine Leute.

Unter anderem erfahren wir dort,
  • dass Deutschland Nettorasenmäherimporteur ist [...];
  • dass "jede zweite allein lebende Frau (52,7%) zum Jahresanfang 2005 mindestens ein Mobiltelefon" besaß [...] und
  • dass die Holländer Hauptabnehmer deutscher Wohnwagen sind [...].
Losgelöst aus ihrem eigentlichen Kontext, wirft die Zahl der Woche allerdings oft mehr Fragen auf, als sie beantworten kann:
  • "Eine Partie Schach, Monopoly oder eine Pokerrunde dauern im Durchschnitt 1 3/4 Stunden. (...) Überraschend ist, dass - wenn gespielt wird - die tägliche Spieldauer zwar über alle Generationen hinweg relativ stabil bleibt, aber Männer sich mit den Gesellschaftsspielen mehr Zeit lassen als Frauen. Dies fällt besonders bei den 25- bis 39-Jährigen auf: Die Spielerinnen dieses Alters verbringen durchschnittlich eine Stunde und 38 Minuten ihrer täglichen Freizeit damit, die Spieler hingegen zwei Stunden"[...].
Was sagen uns diese Zahlen? Spielen Männer langsamer als Frauen? Scheiden Frauen bei Gesellschaftsspielen früher aus? Und was machen die Frauen mit ihrer extra Zeit? Telefonieren sie mit einem ihrer Mobiltelefone? Blättern sie im Rasenmäherkatalog? Verkaufen sie Wohnwagen nach Holland? Alle diese Fragen bleiben unbeantwortet.

Deutlicher als jede wissenschaftliche Kritik zeigt die "Zahl der Woche" die Grenzen der Statistik auf. Aus dem Zusammenhang gerissen und ohne eine plausible Interpretation sind Zahlen nicht mehr als willkürliche Schlaglichter. Dennoch - oder gerade deshalb - besitzen sie eine hohe Suggestivkraft. So weiß etwa Bundesarbeitsminister Müntefering, dass der Erfolg der Arbeitsmarktpolitik zu einem nicht unerheblichen Teil "auch eine Frage der Statistik" ist. Auf die Frage einer Sonntagszeitung, ob die Hartz-Reform alles in allem ein Erfolg sei, antwortet er:
"In Deutschland gelten 3,1 Prozent derer im Erwerbsalter als nicht erwerbsfähig, in Großbritannien sind es 6,5 Prozent. Wenn wir so zählen würden wie die Briten, hätten wir etwa 1,8 Millionen Arbeitslose weniger in der Statistik".
Wenn wir so zählen würden wie die Briten, hätten Frauen vielleicht auch mehr Zeit zum Spielen. Aber das ist natürlich wilde Spekulation. Genau so wie die meisten offiziellen Interpretationen amtlicher Statistiken.

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1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Wer die grobe Auflösung der Arbeitslosenstatistik mal mit der Feinheit von Forst- und Agrarstatistiken vergleicht wird schnell merken, dass es wohl ein politisches Interesse daran geben muss die Arbeitslosen ungenau zu erfassen. Es gibt allein im Markobstbau 9 unterkategorien die Hektargenau erfasst sind (vgl.: http://www.destatis.de/basis/d/forst/forsttab9.php)

wer aber wissen will wieviel alg-ii-empfänger noch schulpflichtig sind, oder wieviele davon einen schwerbehindertenausweis haben. Wer genau hinsieht entdeckt nämlich einige Merkwürdigkeiten (z.b die steigenden Zahl der Werbstätigen, bei ebenfalls gleichzeitg steigender Arbeitslosigkeit) durch die ungenügende Aufschlüsselung wird eine vernünftige Interpreation Zahlen in der Öffentlichkeit gezielt verhindert. Es wäre ja auch zu schön wenn sich jeder zum Thema Arbeitslosigkeit eine fundierte Meinung bilden könnte.

28/6/06 01:16  

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