26.9.06

sein und sonnenschein

Der Bund der Steuerzahler ist eine typisch deutsche Institution. 1949 gegründet, kämpft er seit mehr als einem halben Jahrhundert aufrichtig, gewissenhaft und unerschütterlich gegen die öffentliche Verschwendung. Nicht ganz frei von Selbstgerechtigkeit bezeichnet er sich selbst als das "Finanzgewissen der Nation". Vielleicht ist er aber auch nur so eine Art altmodischer Watchblog der öffentlichen Haushalte. Was der Bildblog für die Bild, ist der BdSt - so die sparsame Abkürzung des eingetragenen Vereins - für Bund, Länder und Gemeinden.

Jedes Jahr im Herbst veröffentlicht er sein "Schwarzbuch" mit dem Titel "Die öffentliche Verschwendung". In einer eigentümlichen Mischung aus Empörung und Ironie präsentiert dieser umgekehrte Ikea-Katalog - Motto: "Regierst Du noch oder sparst Du schon?" - die schönsten Fälle der Vergeudung von Steuergeldern. Seit heute ist die 34. Ausgabe dieser Endlosserie erhältlich [pdf 1,7 mb]. Neben den üblichen und eher langweiligen Verkehrsprojekten (Brücken ohne Verkehrsanbindung, zu enge Kreisverkehre, Buswendekreise ohne Busse) finden sich hier auch wirkliche Kuriositäten, die einige der ureigensten deutschen Eigenarten in hellstes Scheinwerferlicht tauchen. Besonders bezeichnend ist dabei ein auf rund 60 Jahre angelegtes und vom Bund und dem Saarland finanziertes Projekt zur Ergründung der Wurzeln der italienischen Sprache:
"Der Bund und das Saarland sind hoch verschuldet. Aber beide meinen, dass die Herkunft italienischer Wörter einmal gründlich untersucht werden muss. Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts läuft eine millionenschwere Forschungsförderung, die noch bis zum Jahre 2033 fortgesetzt werden soll. Ziel ist ein etymologisches Wörterbuch der italienischen Sprache bestehend aus über 30 Bänden. Bisher sind zehn Bände erschienen. In diesem Jahr haben der Bund und das Saarland insgesamt 310.000 Euro bereit gestellt. Zur Freude der Forscher an der Akademie der Wissenschaften in Mainz und der Universität des Saarlandes. Und auch zur Freude des Bundesbildungsministeriums, das dadurch das internationale Ansehen des Wissenschaftsstandorts Deutschland gestärkt sieht".
Hier treffen gleich zwei tiefverwurzelte deutsche Eigenschaften aufeinander. Die von Goethe bis zur rot-grünen Toskana-Fraktion reichende Italien-Sehnsucht und die vor allem in Akademikermilieus grassierende Zwangsvorstellung, allen Dingen tief auf den Grund gehen zu müssen. Sein und Sonnenschein als akademisches Programm. Schön, dass das so ausgiebig gefördert wird.


Nachtrag: Nachdem alle möglichen Medien die Pressemitteilung des Bundes der Steuerzahler unhinterfragt abgedruckt haben, die FAZ die Kosten des etymologischen Wörterbuchs der italienischen Sprache sogar freihändig von 310.000 auf 310 Millionen Euro aufgestockt hat (inzwischen korrigiert), macht sich jetzt erstmals eine Zeitung die Mühe, nachzufragen, wie denn die Zahlen des BdSt genau zustande kommen:
"Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die alljährliche Verschwendungs-Horrorshow als ziemlich populistisch, recht ungenau und reichlich selbstreferenziell. Das fängt schon bei der Gesamtsumme des Schadens an, die den Steuerzahlern nach Angaben des Steuerzahlerbundes durch hirnlose Politiker und Beamte entsteht: Seit Jahren nennt Däke stets dieselbe Summe von 30 Milliarden Euro – ohne zu erklären, wo sie eigentlich herkommt. Um das zu verschleiern, fügte er auch an diesem Dienstag hinzu, die Summe habe sich nicht geändert und entspreche wieder fünf Prozent des Staatshaushalts. Aber wie soll sie sich auch ändern, nach oben oder nach unten, wenn Däkes Verband sie selber frei herleitet? Denn die in dem Schwarzbuch aufgelisteten Fälle, die ihm angeblich "durch Anrufe oder Hinweise aus der Bevölkerung" zugetragen werden, addieren sich regelmäßig auf eine weit geringere Summe. Um die gewaltige Lücke zu schließen, beruft sich der Steuerzahler-Verein auf Zahlen des Bundesrechnungshofs, wonach fünf bis zehn Prozent des jährlichen Steueraufkommens nicht zielgerichtet verwendet würden. Nur dumm, dass der Rechnungshof bestreitet, jemals eine solche generelle Schätzung abgegeben zu haben. Macht nichts, dann müssen für Däke eben die Angaben eines Landesrechnungshofs von Ende der 80er Jahre (!) herhalten, um alljährlich durch seinen mirakulösen Fünf-Prozent-Dreisatz auf die besagten 30 Milliarden Euro zu kommen" [Zeit online].

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2 Comments:

Anonymous Anonym said...

"Die Dunkelziffer liegt bedeutend höher!" Aha! Soso!
Der Mythos will genährt sein.

28/9/06 00:43  
Blogger la deutsche vita said...

Die Dunkelziffer liegt vor allem im Dunkeln. Und da lässt man sie auch gerne, um weiter ungestört mit ihr hausieren zu gehen.

28/9/06 00:54  

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