13.6.06

abstrakte anordnungen

"Eine Flagge ist eine abstrakte Anordnung von Farben, Flächen und Zeichen in meist rechteckiger Form. Sie dient in immaterieller oder materieller Form (meist als Tuch) zur Markierung der Zugehörigkeit bzw. der Vertretung von Gemeinschaften und Körperschaften" [Wikipedia].

Diese Definition in der deutschen Wikipedia ist symptomatisch für das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nationalflagge. Eigentlich will niemand etwas damit zu tun haben, mit dieser rechteckigen Anordnung materieller und immaterieller Markierungen, die der Abstraktion farbiger Gemeinschaften und Körperschaften in Tuchform dient ... oder so ähnlich. Die Deutschlandflagge ist etwas für Behörden und Parlamente, nicht für Privatleute. Wann und wo sie zu sehen ist, regelt der Beflaggungserlass der Bundesregierung. Unter anderem heißt es dort:
"Die Beflaggung beginnt bei Tagesanbruch, jedoch nicht vor 07.00 Uhr, und endet bei Sonnenuntergang. Erstreckt sich die Beflaggung über mehrere Tage, so sind die Flaggen bei Sonnenuntergang einzuholen und am Morgen wieder zu hissen. Werden Flaggen angestrahlt, können sie auch nach Sonnenuntergang gesetzt bleiben".
Sicherlich gibt es irgendwo auch noch einen ergänzenden Erlass, der die Verwendung von Energiesparlampen bei der nächtlichen Beleuchtung abstrakter Farb-, Flächen- und Zeichenkombinationen in rechteckiger Tuchform vorschreibt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bis vor wenigen Tagen jedenfalls war die Deutschlandflagge sicher in der bürokratischen Parallelwelt der Staatsakte und Dienstvorschriften gefangen. Mit Beginn der Fußballweltmeisterschaft hat sich das schlagartig geändert. Plötzlich flattern die schwarz-rot-goldenen Fahnen überall. An Häusergiebeln, auf Balkonbrüstungen, als serviettengroße Wimpel an gräulichen Autofensterhalterungen. Für Nachschub sorgt das 7-teilige Deutschlandfahnenset für 9,99 Euro im Billigdiscounter. Und all das passiert ohne jeden offiziellen Billigflaggenerlass.

Abseits der offiziellen Patriotismusdebatte hat sich die Flagge zum modischen Accessoire gewandelt und verliert als solches jede Symbolkraft. Erst in ihrer massenhaften Verwendung als dekoratives Beiwerk wird sie tatsächlich zu dem harmlosen Stofffetzen, den die lexikalische Definition schon immer gerne aus ihre gemacht hätte: eine abstrakte Anordnung von Farben, Flächen und Zeichen in meist rechteckiger Form, die in materieller Form (als Tuch) zur Markierung der Zugehörigkeit von Gemeinschaften - z.B. Fußballmannschaften - verwendet wird.

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1 Comments:

Anonymous Anonym said...

100 Punkte!

14/6/06 16:13  

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