14.3.06

dialektik der belehrung

Zwischen kritischer Aufklärung und rechthaberischer Belehrung verläuft ein sehr schmaler Grat. In Deutschland ist er kaum mehr sichtbar. Schneller als in irgendeinem anderen Land verwandeln sich bei uns weitsichtige Aufklärer in engstirnige Missionare. So zum Beispiel die Macher des BildBlog. Angetreten mit dem Ziel, die tendenziöse und manipulierende Berichterstattung des Boulevardblattes zu entlarven, wandelt sich der BildBlog immer mehr zur bloßen Besserwisserei. Unter der Überschrift "Kurz korrigiert" werden in inzwischen mehr als 70 Einträgen Tippfehler und belanglose Ungenauigkeiten der Bildzeitung penibel dokumentiert. Dabei ist der aufklärerische Gehalt von Beiträgen, die widersprüchliche Angaben über das Alter von Paris Hilton aufdecken, mehr als fraglich. Peinlicher ist es dann nur noch, wenn Bildblog süffisant darauf hinweist, dass Bild die Fehler nachträglich korrigiert hat. Triumph auf der ganzen Linie. Aber, wenn der Weg zum Ziel wird, dann ist das Ziel irgendwann weg.

Möglicherweise liegt das Hauptproblem aber auch gar nicht in der vermeintlichen Eitelkeit und Besserwisserei der BildBlogger. Vielleicht liegt liegt es an ihrem Gegenstand, dass die Kritik langsam zur Routine verkommt. Vielleicht hat Hans Magnus Enzensberger das alles - lange vor der Erfindung des Internets - schon vorausgesehen:

"Die Bild-Zeitung zu analysieren, ist zum ersten Mal eine lohnende Aufgabe, zum zweiten Mal eine Strafarbeit, zum dritten Mal eine Beschäftigung, die Ekel und Überdruss erregt".

Vielleicht liegt das Hauptproblem deutscher Aufklärer darin, dass sie nicht merken, dass Aufklärung nicht nur schwer als Daueraufgabe betrieben werden kann, sondern irgendwann auch mal ein Ende haben muss.

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6 Comments:

Blogger Unknown said...

Aufklärung muss irgendwann ein Ende haben? Wann?

Und wann haben wir zum letzten Mal einen Tippfehler von Bild korrigiert?

14/10/06 16:11  
Blogger la deutsche vita said...

Sorry, natürlich war das nicht als Plädoyer gegen die Aufklärung gemeint (obwohl es beim neuen Durchlesen leider genau so klingt).

Abgesehen von letzten Satz stimmt der Beitrag aber immer noch. Wenn Kritik zur Routine verkommt, wenn sie vorhersehbar wird, dann ist das ein Problem. Dies geschieht immer dann, wenn jemand sich mit großer Regelmäßigkeit der Kritik ein und desselben Gegenstands widmet. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist das oft nötig, etwa in der Arbeit von Lobbyverbänden oder in der Politik. Besser wird es dadurch aber nicht. Ein Beispiel ist die Politik: Die Kritik der Opposition an allem, was die Regierung tut, ist mechanisch, vorhersagbar und genau deshalb nur wenig überzeugend. Weniger wäre in dem Fall einfach mehr. Jedenfalls was die Wirkung angeht.

Was Eure Tippfehlerkorrekturen angeht habe ich gleich einen Beitrag vom 5. Oktober unter der Rubrik "Kurz korrigiert" gefunden (die inzwischen bei Nr. 270 angekommen ist):

"Heute gab es keine Korrekturspalte in 'Bild'. Und wir hätten gedacht, die 'Bild'-Zeitung berichtigt wenigstens ihren Kolumnisten Hugo Müller-Vogg, der gestern aus dem Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin einen Theo gemacht hat".

Ist ja ganz lustig, aber wirklich spannend ist der BildBlog, wenn er substanziellere Kritik des Boulevards betreibt.

14/10/06 16:49  
Blogger Unknown said...

Ja, es gibt substanziellere Einträge bei uns. Beschwerst Du Dich auch bei Tageszeitungen über die Kurzmeldungen, weil die nicht so substanziell sind wie die größeren Texte?

Im übrigen ging es bei dem Eintrag mit Sarrazin nicht nur um einen "Tippfehler", sondern darum, dass "Bild" es nicht einmal schafft, die eigenen Fehler in der unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit eingeführten Korrekturspalte zu korrigieren.

14/10/06 18:44  
Blogger la deutsche vita said...

Eigentlich beschwere ich mich in diesem Blog überhaupt nicht über Einzelheiten, sondern versuche allgemeine Beobachtungen durch konkrete Beispiele zu veranschaulichen. Das ist vielleicht ungerecht für die, die beispielhaft erwähnt werden, aber die ganze Welt kann ich nicht im Auge haben und nur abstrakt daherreden will ich auch nicht.

Aber würdest Du im Ernst abstreiten, dass der Bildblog manchmal, wenn gerade nichts großes gefunden wird, auf Kleinigkeiten herumreitet? Vielleicht weil Ihr jeden Tag etwas schreiben müsst und Euch Euer thematisch bewusst darauf beschränkt habt, die 'Bild' zu kritisieren?

14/10/06 19:02  
Blogger Unknown said...

Ich würde abstreiten, dass wir mehr auf Kleinigkeiten rumreiten als früher ("wandelt sich der BildBlog immer mehr zur bloßen Besserwisserei"). Vom ersten Tag an hieß unser Motto: "Die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme." Mir persönlich ist es zum Beispiel völlig egal, ob Paris Hilton 25, 26 oder 31 ist. Aber ich finde es erstaunlich, dass eine Zeitung, der die Altersangaben so wichtig sind, dass sie sie bei jedem einzelnen Menschen, über den sie schreibt, ausdrücklich angibt, dass so eine Zeitung offenbar überhaupt nicht weiß, wie alt die Leute sind. Es mag kleinlich wirken, wenn wir aufschreiben, dass Bild falsche Altersangaben macht. Aber wenn wir mit Dutzenden solcher Einträge beweisen, dass Bild nicht einmal das richtig hinbekommt, dass da offenbar irgendwer irgendwelche Zahlen hinschreibt, dann sagt das auch etwas über die Sorgfalt aus, mit der bei "Bild" insgesamt gearbeitet wird. (Und nachdem wir das ausgiebig an den Altersangaben demonstriert haben, haben wir über die falschen Altersangaben viel weniger geschrieben.)

Und wenn wir keine großen Sachen zum Aufschreiben haben, schreiben wir einfach gar nichts auf.

14/10/06 19:46  
Blogger la deutsche vita said...

Stefan, vielen Dank für Dein Feedback. Ich sehe mir den BildBlog nach Deinen Kommentaren gerne wieder genauer an. Die Aktion mit den Bildblog-Leser-Reportern gefällt mir sehr gut. Vielleicht habe ich für meine These der typisch deutschen Eigenschaft, andere andauernd und ziemlich penetrant belehren zu müssen, tatsächlich ein falsches Beispiel gewählt. Deshalb habe ich in neueren Beiträgen in diesem Zusammenhang auch mit Vorliebe den Spiegel-Zwiebelfisch Bastian Sick erwähnt, nicht das Bildblog. Aber dass die Dauer-Analyse der BildZeitung - wie Enzensberger sagt - oft mehr Strafarbeit als Spaß ist, glaube ich bei der Lektüre Eures Blogs auch weiterhin.

15/10/06 15:21  

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