29.11.06

kunst und kommerz im berliner hauptbahnhof

Sind Architekten eigentlich die einzigen, die gut bezahlte Dienstleistungen zum Kunstwerk erklären dürfen und ihren Auftraggebern dann per Gericht vorschreiben können, was diese mit ihrem Eigentum machen dürfen und was nicht? Wie wäre es, wenn Zahnärzte in Zukunft bei jeder Veränderung des von ihnen angefertigten Zahnersatzes vor Gericht klagen würden? Oder wenn Friseure ihren Kunden verbieten würden, eigenmächtig die Haare zu färben ... jedenfalls ohne vorherige kostenpflichtige "Beratung" durch den Urheber dieses "Kunstwerks"? Wo genau liegt eigentlich der Unterschied zwischen Architekten und anderen gestalterisch tätigen Dienstleistern, der eine derart absurde Auslegung des Urheberrechts zulässt? Und woran liegt es, dass die Kommentatoren diesen Gerichtsentscheid bisher durchweg begrüßen?

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13 Comments:

Anonymous Anonym said...

Du willst doch nicht etwa die Frage aufwerfen, was Kunst ist? Dabei ist es doch klar: Kunst ist, was von Leuten, die man dafür kompetent hält, zu Kunst erklärt wird.

Interessante Frage aber: Darf ich, wenn ich ein Bild eines lebenden Künstlers erworben habe, darin "Korrekturen" vornehmen?

30/11/06 12:10  
Blogger la deutsche vita said...

Naja, in diesem Fall hat ein Richter entschieden, was Kunst ist. Keine Ahnung, ob der das besser weiß als andere. Aber wahrscheinlich ist die Bahn an allem schuld, weil sie im Vertrag nicht klar gemacht hat, dass sie den Bahnhof als Gebrauchsgegenstand und nicht als Gesamtkunstwerk braucht.

30/11/06 13:31  
Anonymous Anonym said...

"Dabei ist es doch klar: Kunst ist, was von Leuten, die man dafür kompetent hält, zu Kunst erklärt wird."

Immer diese Treppenhauswitze. Man kann sich zwar wechselseitig niederdiskutieren mit der Frage, was Kunst sei, aber so einfach ist nun auch wieder nicht. Ähnlich wie politische, moralische, rechtliche oder Tatsachen behauptende Urteile kann man auch ästhetische fällen. Das ist einfach ein weiter Rationalitätstyp, und im Falle der Kunst wie überall immer auch eine Frage der Geschichte der jeweiligen Rationalität. Daß diese im Fall der Architektur eben auch zum Tragen kommt, das ist doch klar. Ebenso kontrovers sind die Fragen nach Autorenschaften, gerade in einem solchen Fall.

Aber im konkreten Fall ist doch eigentlich die klassisch liberale Antwort die richtige: Kommt ganz auf den Vertrag an, der vorab geschlossen wurde, und weniger darauf, ob es sich bei Bahnhöfen nun generell um Gebrauchsgegenstände oder Gesamtkunstwerke handelt, weil eben beide Perspektiven möglich sind.

30/11/06 16:19  
Blogger la deutsche vita said...

Im konkreten Fall wird es wohl tatsächlich ein Fehler der Bahn bei der Vertragsgestaltung gewesen sein. Aber dass sich viele Architekten nicht als Dienstleister verstehen sondern als Künstler und die Wünsche der Bauherren oft als laienhafte Zumutung empfinden, ist eine ziemlich ärgerliche Eigenschaft dieses Berufsstandes.

30/11/06 16:40  
Anonymous Anonym said...

Ich kenne dieses Problem aus meiner beruflichen Praxis aber auch, daß ich mich gelegentlich als Künstler verstehe, meine Kunden das aber ebenso gelegentlich anders sehen ;-) ... das ist halt so in Bereichen, wo "gestalterische Kreativität" eine Rolle spielt.

Spannend wäre insofern die Frage, ob in Fällen kreativer Buchhaltung nicht das Urheberrecht statt der Feststellung einer Täterschaft im Sinne des Strafrechts in Anschlag zu bringen wäre.

30/11/06 16:50  
Blogger la deutsche vita said...

Klasse Idee! Die Logik von Gerkans Nörgeleien kann man nämlich tatsächlich beliebig ausweiten. Darf man Tatoos entfernen, wenn man sich das Recht nicht ausdrücklich im Vertrag gesichert hat? Darf der Hauptbahnhof irgendwann einmal abgerissen werden? Was passiert im Falle einer Privatisierung der Bahn? Darf der neue Besitzer des Bahnhofs Zwischendecken einziehen, Toilettencontainer auf den Gleisen aufstellen und zwischen den Rolltreppen riesige lila Kühe aufhängen?

30/11/06 17:04  
Anonymous Anonym said...

Es ist das deutsche Urheberrecht. Die FAZ hat die Problematik hier mal zusammengestellt.

1/12/06 20:39  
Blogger la deutsche vita said...

@ Rayson
Unglaublich, was da steht. Zum Glück baue ich keine Häuser, sonst müsste ich sie mir erst von einem Dramatiker entwerfen lassen und hätte dann noch nicht einmal das Recht, den Entwurf während der Bauzeit zu ändern. Und alles weil der Künstler sonst seinen "guten" Ruf verlieren könnte.

1/12/06 22:54  
Anonymous Anonym said...

"das Urheberrecht selbst ist unveräußerlich; es ist Teil seiner Persönlichkeit."

Würde das stimmen, dann würde kein einziger Vertrag in meinem persönlichen, beruflichen Umfeld Gültigkeit haben. Ich trete ja auch mein Urheberrecht per Arbeitsvertrag ab, und ansonsten wären Anstellungsverhältnisse wie das meine auch unsinnig.

Vielleicht gilt das aber auch nur für freischaffende Künstler, aber dann wäre mein Rumpfuschen im Werk freier Mitarbeiter ja auch illegal ...

Ich mail den Link mal an unsere Juristen ...

4/12/06 15:14  
Anonymous Anonym said...

In der Praxis räumt man immer (uneingeschränkte oder eben beschränkte) Nutzungsrechte - und eben nicht das Urheberrecht selbst - ein.

Das Urheberpersönlichkeitsrecht verbleibt immer beim Urheber und ist nicht veräußerbar, kann allerdings nur in sehr außergewöhnlichen Fällen geltend gemacht werden.

So verhält sich das, habe ich gerade aus kompetentem Munde erfahren.

Dann haben wir aber den facto eine Situation in diversen Branchen, in der über informelle Institutionen (Üblichkeiten, gegen die zu verstoßen sich keiner traut) die formellen ausgehebelt werden ... wie in der DDR.

4/12/06 15:46  
Anonymous Anonym said...

So vielschichtig ist das eben mit den Institutionen... Wobei immer noch die Frage zu stellen ist, ob das "Aushebeln" nicht rechtlich ein "Konkretisieren" ist.

Deswegen halte ich den DDR-Vergleich auch für ziemlich daneben. Da ging es ja nicht um die Ausgestaltung unbestimmter Rechtsbegriffe, sondern um die Negierung sehr bestimmter.

Wie auch immer - es gibt offensichtlich Bereiche, in denen sich der Gesetzgeber vor der Konkretisierung scheut. Das Urheberrecht scheint mir so einer zu sein (auch wenn da immer mehr konkretisiert wird), das Arbeitsrecht wäre ein anderer.

5/12/06 00:24  
Anonymous Anonym said...

@Rayson:

Der DDR-Vergleich ist nicht daneben. Immer diese Abwehrreflexe aus den 7oern.

Durchaus gut informierte Personen vertreten die These, daß diese schon viel früher implodiert wäre, wenn nicht ein Netz informeller Institutionen dieses noch weiter gestützt hätte.

Zudem eben die Frage ist, inwiefern das eine "Konkretisierung" darstellt, wenn eine rechtliche Regel de facto kaum eine Rolle spielt in den Bereichen, in denen sie wirken sollte - abgesehen von so einem spektakulären Fall wie dem konkreten.

Der Konkretisierung stehen ökonomische Machtverhältnisse entgegen. Weil eben keine Nachfrage nach Leuten besteht, die auf ihre Rechte pochen.

Und ich glaube, daß ganz ähnlich wie im Politischen in der Rechts-Realität zwei Ebenen permanent kollidieren - das moralisch-normative und das Funktionale.

5/12/06 10:57  
Anonymous Anonym said...

Die Bahn hat ein riesiges Teil gebaut. Es sollte repräsentativ sein und tolle Architektur - nämlich Kunst - werden, damit alle drüber reden. Sie hat sich dazu einen renommierten Architekten genommen und keinen "von um die Ecke". Die Bahn wußte, dass sie Ärger bekommt, wenn sie tiefgreifend in die Pläne dieses bekannten Architekten eingreift. Das hat sie aber getan, und das gleich zweimal (zu kurzes Glasdach - und das sieht man ganz deutlich, weil die Proportionen nicht mehr stimmmen, und andere Decke im Keller). Nun hat die Bahn Ärger - zu Recht.

Alle anderen Vergleiche und Einwürfe, die hier gebracht werden, hinken leider.

14/12/06 00:24  

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