"Der Wunsch nach einem 'neuen Busen' zum Abitur ist keine Ausnahme mehr."
Bis vor kurzem noch lag die offizielle Zuständigkeit für derartige Formen der unkritischen Aufklärung in Deutschland bei der bunten Wochenpresse - von Gala über Fokus bis hin zum Zentralorgan der Besserwissenden, dem Spiegel. Aber in Zeiten der großen Koalition bleibt nichts beim Alten. Bebend vor Barmherzigkeit setzt Mutter Staat dazu an, auch die entferntesten Ränder unserer immer weiter zerfasernden Gesellschaft unter ihre breiten Fittiche zu nehmen.
Seit vorgestern befindet sich dort nun auch der immer noch etwas anrüchige Bereich der Schönheitsoperationen. In
einem gemeinsamen Antrag nehmen sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD des Themas an und berichten ausgiebig über aktuellste Trends in der kosmetischen Chirurgie und - natürlich - über die damit verbundenen Gefahren für Mensch und Gesellschaft. Dabei unterscheidet sich der Stil der Bundestags-Drucksache im ersten Teil interessanterweise kaum von dem einschlägiger
Fachpublikationen.
Ein Auszug:
"Der Wunsch nach maßgeschneiderter Schönheit wächst. [...] Schätzungsweise zehn Millionen kosmetisch-operative Eingriffe werden weltweit jährlich durchgeführt. Im Zeitalter von Wellness und Antiaging nimmt die Zahl stetig und rapide zu. Auch in Deutschland. [...] Schon unter 9-14 jährigen wünscht sich jedes 5. Kind [...] eine schönheitsoperative Behandlung."
Zwar wird im gleichen Atemzug mitgeteilt, dass in Deutschland überhaupt keine verlässlichen Daten über die Art und Menge der Schönheitsoperationen vorliegen, aber das hält die parlamentarischen Berichterstatter - auch hier eine Parallele zur Boulevardpresse - nicht davon ab, mit vermeintlich akkuraten Zahlen zu hantieren:
"Das Altersspektrum der Patientinnen und Patienten soll von 12 bis 84 Jahren reichen".
Aber warum das Ganze? Das wird im nächsten Abschnitt deutlich. Denn nach Ansicht der Antragsteller ist es
"zunehmend problematisch, dass die Schönheitschirurgie z. T. ohne entsprechende Weiterbildung betrieben wird, obwohl umfängliche fachärztliche Weiterbildungen in diesem Bereich existieren."
Selbst Heilpraktiker führen dem Antrag zufolge heute Schönheitsoperationen durch. Da ist es kein Wunder, dass die
Vereinigung der deutschen ästhetisch-plastischen Chirurgen (die den Bundestagsfraktionen freundlicherweise auch gleich noch ihre eigenen Daten zur Verfügung gestellt hat) Wert darauf legt, dass künftig nur noch Fachärzte mit einer "Weiterbildungszeit von mindestens sechs Jahren" derartige Operationen durchführen dürfen. Die Koalitionsfraktionen unterstützen das und fordern die Bundesländer auf, bei schönheitschirurgischen Eingriffen verstärkt darauf zu achten, "dass nur entsprechend qualifizierte Personen solche Eingriffe vornehmen".
Um den Einfluss der Lobby wenigsten ein bisschen zu kaschieren werden dann - wie immer in solchen Fällen - Bund und Länder aufgefordert, ein Verbot von Schönheitsoperationen für Minderjährige zu prüfen. Damit kann die Ärztelobby leben. Die Belohnung für's bestandene Abitur gibt es dann eben erst nach dem ersten Studiensemester.
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