22.4.08

der knappe schwung der routine

Auf der Hannover Messe läuft die Bundeskanzlerin mal wieder zu rhetorischer Höchstform auf:
"Den knappen Schwung der Routine hat man nicht mit 25, den bekommt man später".
Ein bisschen Selbstironie hat sie in ihrer Eröffnungsrede auch noch versteckt:
"Ich freue mich auf den morgigen Rundgang, wenn ich mir – natürlich nur in Ausschnitten – das zeigen lassen werde, was Japan und Deutschland zu bieten haben."
Bei so viel junggebliebener Lässigkeit ist es kein Wunder, dass ihr Pressesprecher sie offenbar als Bundesgirlie vor Augen hat:
"Auftakt zum Girls’ Day mit Bundeskanzlerin Merkel"

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15.4.08

traurige tropen

Metaphern sind geheimnisvoll und bewusstseinserweiternd. Indem sie Dinge absichtlich "falsch" bezeichnen, geben sie kleine Rätsel auf und erschließen neue Bedeutungszusammenhänge. Ohne Metaphern wäre die fortschreitende Alphabetisierung der Welt - ihrerseits natürlich auch nichts anderes als eine riesengroße Metapher - kaum zu ertragen.

Allerdings setzt die erfolgreiche Verwendung von Metaphern Eigenschaften voraus, die in Deutschland nicht gerade im Übermaß vorhanden sind: die Fähigkeit zum freien, assoziativen Denken und eine gewisse Distanz zu den eigenen Ideen und Vorstellungen.

Fehlen diese Eigenschaften, dann kommt so etwas zustande, wie diese Überschrift, neulich, auf Spiegel Online:


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14.4.08

die sendung mit der heuschrecke

Die Sendung mit der Maus hat Millionen von Deutschen zu liebenswerten Besserwissern gemacht, die wissen wie die Welt funktioniert und die sich von niemandem einen Bären aufbinden lassen. Jetzt erklärt die Bundeskanzlerin im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, wie die Maus künftig auch gegen die Risiken globalisierter Finanzmärkte eingesetzt werden kann:
"Wichtig ist, die Kapitalmärkte sorgfältig zu beobachten und auch ein besseres Verständnis für sie zu entwickeln.

Seit langem erklärt zum Beispiel die 'Sendung mit der Maus' sehr gut, wie eine Kaffeemaschine oder ein Fahrrad funktioniert. Wir haben also ein gutes Verständnis für die Produkte der Industriegesellschaft.

Heute müssten wir aber auch eine Sendung für Finanzprodukte haben, also ein besseres Verständnis der heutigen Kapitalmärkte."
Und in 40 Jahren, wenn die erste von der "Sendung mit der Heuschrecke" umfassend aufgeklärte Bauherrengeneration ihre Kredite aufnimmt, wird es zumindest in Deutschland keine Finanzkrise mehr geben. So einfach ist das.

Aber was sind das eigentlich für Journalisten, die so einen Quatsch hören und trotzdem kommentarlos zur nächsten Frage übergehen?

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11.4.08

der durchmarsch der institutionen

1967, auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte, proklamierte Rudi Dutschke den langen Marsch durch die Institutionen. Die außerparlamentarische Opposition sollte das politische System infiltrieren und langsam aber sicher von innen heraus verändern. Heute, rund 40 Jahre nach dem revolutionären Marschbefehl, gibt es kaum eine soziale Bewegung, die nicht fest in den Entscheidungszentren der Republik etabliert wäre. Die Institutionen sind erobert. Aber hat sich - abgesehen von den vielen neuen Themen, die heute fest auf der politischen Agenda verankert sind - auch etwas im grundsätzlichen Verhältnis von Staat und Gesellschaft geändert? Ist der Staat schwächer geworden, wie so viele Theoretiker behaupten? Lösen sich seine überalterten Institutionen von innen her auf? Ist das Ende der Hierarchie greifbar?

Nein. Im Gegenteil. Was wir heute erleben ist ein beispielloser Durchmarsch der Institutionen. Nicht nur, dass der lange Marsch durch die Institutionen selbst schon längst zur Institution geworden ist - eine Art routinemäßiger Bewährungsaufstieg für "neue" soziale Bewegungen und ihre jeweiligen Themen. Auch die "alten" Institutionen haben - nach einer längeren Phase der Verunsicherung - zu ihrem ursprünglichen Selbstbewusstsein zurück gefunden. Verbote ohne Ende, weitreichende Eingriffe in die Privatsphäre, Einschränkungen des Demonstrationsrechts oder das offensive Infragestellen rechtsstaatlicher Prinzipien bei der Strafverfolgung zeigen, dass die revolutionären Marschierer den Staat allenfalls an der Oberfläche verändert haben. Unterhalb dieser Fassade sind es vor allem sie selbst, die sich verändert haben.

Was wir beobachten ist ein klassischer Sozialisationsprozess: Individuen passen sich ihrem unmittelbaren gesellschaftlichen Umfeld, seinen Werten, Normen und Routinen, an. Soziologen und Politikwissenschaftler dürfte dies nicht besonders verwundern. Das Interessante an unserem Fall ist jedoch, dass der Staat nicht nur die vermeintlichen Reformer in ihr eigenes Feindbild verwandelt hat, sondern dass es ihm dabei auch gleich noch gelungen ist, deren besondere Legitimität auf sich selbst zu übertragen.

Wie in den ungeliebten 50er Jahren regiert der Staat heute wieder von oben herab, bevormundet seine Bürger und stellt auch gerne mal den Zweck über die Mittel. Nur eines hat sich verändert. Im Gegensatz zu früher schämt er sich nicht mehr dafür. Auf geheimnisvolle Art und Weise scheint die Aura des Richtigen und Moralischen, die den neuen sozialen Bewegungen anhaftete, sich während des langen Marsches durch die Institutionen von ihrem ursprünglichen Träger gelöst zu haben und auf die Institutionen übergegangen zu sein. Macht und Moral sind kein Gegensatzpaar mehr, sondern vereinen sich - zumindest in der Selbstwahrnehmung unserer politischen Eliten - in der neuen Form eines autoritären und gleichzeitig wohlwollenden Staates. Dieser Staat, der ja per Definition nur Gutes will, muss sich dann - so scheint es der eine oder andere großkoalitionäre Akteur derzeit wohl zu sehen - auch nicht mehr an die bestehenden (und daher notgedrungen veralteten) Gesetze halten. Schließlich ist der Staat ja nun sein einziger legitimer Kritiker - eine eigentümliche Personalunion, die ihn sich selbst gegenüber meistens sehr milde stimmt.

40 Jahre, also ungefähr ein volles Berufsleben nach dem Höhepunkt der 68er Bewegung, steht der Staat stärker und selbstbewusster da als je zuvor. Aus dem revolutionären Marsch durch die Institutionen ist ganz unmerklich ein Durchmarsch der Institutionen geworden. Und im Gegensatz zu 1968 ist im Jahr 2008 kein Akteur in Sicht, der diesem Durchmarsch ein überzeugendes Gegenmodell entgegen halten könnte.

Das Ende der Geschichte kommt von innen. Und es heißt "durchregieren".

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10.4.08

bauernschläue

"Milch schmeckt, ist gesund und macht schlau. Das müsste doch helfen, den Absatz von Milch zu erhöhen."
Tut es aber offensichtlich nicht. Sonst müsste Landwirtschaftsminister Seehofer nicht 9,3 Millionen Euro ausgeben, um seine eigene Erkenntnis zu widerlegen.

Im "Modellvorhaben Schulmilch" soll in den nächsten zwei Jahren erforscht werden, wie der Absatz von Milch an Schulen künstlich angekurbelt werden kann. Dazu erhalten 600 ausgewählte Grundschulen
"ihre Schulmilch zu verschiedenen Preisvarianten – bis hin zur kostenlosen Abgabe. Außerdem wird der Einfluss untersucht, den Unterrichtseinheiten durch Landfrauen und Aktionsveranstaltungen zur Aufklärung über die Vorzüge von Milch auf den Absatz von Schulmilch haben".
Eine wirklich interessante Fragestellung, auf die ohne den freundlichen Hinweis der Agrarlobby sicher niemand gekommen wäre. Noch spannender würde die Untersuchung allerdings, wenn das für die "wissenschaftliche Begleitung" zuständige Max-Rubner-Institut herausfände, wie viele Kühe ein Grundschüler leertrinken muss um die Schulzeit wieder wettzumachen, die mit "Unterrichtseinheiten durch Landfrauen" und Werbeveranstaltungen "zur Aufklärung über die Vorzüge von Milch" verplempert wurde.


P.S.: Was mich wirklich wundert ist, dass die offizielle PR-Agentur der Milchbauern auf den abgedroschendsten Werbespruch aller Zeiten - "Milch macht Schule" - verzichtet hat. Stattdessen wird unsere durch jahrelangen Kuhmilchkonsum ins nahezu unermesslich gesteigerte Intelligenz auf allergröbste Weise durch die mühsam vor sich hin kalauernde Metapher "Schulmilch – bald in aller Schüler Munde?" beleidigt.

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4.4.08

die neue ehrlichkeit


Der Politikwissenschaftler David Easton hat in den 60er Jahren ein Modell der Politik entwickelt, in dem er den politischen Entscheidungsprozess als Black Box beschrieb. Außenstehende können sehen, was in die Black Box reingeht, und sie können beobachten, was später herauskommt. Was dazwischen passiert, d.h. die Art und Weise, in der Gesetze und andere politische Entscheidungen zustande kommen, kann der Beobachter hingegen nur erahnen.

Doch manchmal öffnet sich die Black Box ein klein Wenig und taucht die "Regierungsarbeit" in ein helles Licht. Die heutige Pressemitteilung des Umweltministeriums zum Stop der Biosprit-Verordnung ist ein solcher lichter Moment. In einer fast unheimlich anmutenden Ehrlichkeit berichtet Umweltminister Sigmar Gabriel darin über die wahren Motive des heute verworfenen Plans, den Anteil von Bioethanol im Benzin auf 10 Prozent zu erhöhen. Nicht der Schutz des Klimas, sondern ausschließlich die wirtschaftlichen Interessen der Landwirtschaft und der Automobilindustrie seien der Grund für die geplante staatliche Förderung der Biokraftstoffe gewesen:
"Gabriel verwies darauf, dass die Diskussion um die Erhöhung der Beimischungsobergrenzen nur begrenzt etwas mit dem Erreichen von Klimaschutzzielen zu tun gehabt habe. 'Vielmehr ging es sowohl um Interessen der Landwirtschaft an der Stabilisierung und dem Ausbau des Biokraftstoffmarktes und einem ganz speziellen Interesse der Automobilindustrie: Eine erhöhte Beimischung sollte der Automobilindustrie in Deutschland und Europa den Schritt von 130 g CO2 pro km auf 120 g CO2 pro km ab dem Jahr 2012 kostengünstiger ermöglichen als es durch ausschließlich technologische Schritte in der Motoren- und Fahrzeugtechnik möglich ist'."
Ein "ganz spezielles Interesse der Automobilindustrie" und der Wunsch der Landwirtschaft nach hohen Marktpreisen waren also ausschlaggebend für ein teures "umwelt"politisches Programm, dessen ökologischer Nutzen mehr als fraglich ist. Und der eigentlich für den Schutz der Umwelt zuständige Minister gibt das auch noch freimütig und in aller Öffentlichkeit zu. Ist das vielleicht der Anfang vom Ende der Black Box-Metapher? Oder einfach nur eines Umweltministers?


P.S.: Wer sehen will, wie sich jemand um Kopf und Kragen redet, nur um den eigenen Hals aus der Schlinge zu ziehen, dem sei die vollständige Rede des Umweltministers auf der heutigen Bundespressekonferenz empfohlen. Höhepunkt der Rede:
"Für mich war und ist absolut klar gewesen, dass das Bundesumweltministerium der Automobilindustrie bei der Erreichung der Klimaziele (ab 2012 nur noch im Durchschnitt 120 g CO2/km) nicht zu Lasten von Millionen Autofahrern helfen kann, die dann auf das wesentlich teuere Super Plus Benzin ausweichen müssten. (...) Die Umweltpolitik wird nicht die Verantwortung für eine massive soziale Belastung dieser Autofahrer übernehmen, denn ein direkter umweltpolitischer Vorteil existiert dabei nicht" (die Hervorhebung ist von mir).

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