29.3.08

was nicht sein darf, darf nicht sein

Politik kann so einfach sein. Jedenfalls aus Sicht des Landwirtschaftsministeriums. Konfrontiert mit der Nachricht, dass viele europäische Weine Pestizidrückstände enthalten, erklärt Staatssekretär Gert Lindemann, warum zumindest in Deutschland nicht sein kann, was nicht sein darf:
"Trauben, die für die Weinherstellung verwendet werden, dürfen nicht mehr Rückstände enthalten, als erlaubt."
Natürlich kann einem gelangweilten Politiker eine derart nichtssagende Tautologie schon mal rausrutschen. Erst Recht an einem Freitag Nachmittag. Aber was auf den ersten Blick als sprachliche Nachlässigkeit erscheint, deutet bei näherem Hinsehen auf tiefgreifendere Veränderungen der Wirklichkeitswahrnehmung politische Akteure: Was nicht sein darf, das kann einfach nicht sein.
"Im Rahmen des Zulassungsverfahrens für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln müssen grundsätzlich Rückstandsversuche durchgeführt werden. Ziel dieser Versuche ist es festzustellen, wie hoch die Rückstände an Pflanzenschutzmitteln bei sachgemäßer Anwendung nach der Bekämpfung der Schaderreger sind. Nur wenn die Höhe der Rückstände gesundheitlich unbedenklich ist, erfolgt eine Zulassung zur Anwendung."
Dass gerade in der Landwirtschaft die "sachgemäße Anwendung" von Pflanzenschutzmitteln (in Insiderkreisen auch "gute fachliche Praxis" genannt) eher theoretische Annahme als empirische Realität ist, ändert nichts an der systematischen Verwechselung von Anspruch und Wirklichkeit.

Könnte es sein, dass die in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher gewordenen Steuerungsdefizite staatlicher Politik von ihren Protagonisten zunehmend durch rituelle - und immer wirklichkeitsfernere - Beschwörungen staatlicher Allmacht kompensiert werden? Zumindest für die Agrarpolitik erscheint das nicht ganz unplausibel:
"Nach dem deutschen Weingesetz und der Weinverordnung darf Wein nur aus Trauben hergestellt werden, welche die in der Rückstands-Höchstmengenverordnung für Trauben festgesetzten Rückstands-Höchstgehalte nicht überschreiten. Der Rückstands-Gehalt von Wein muss unter Berücksichtigung der durch die Herstellung eingetretenen Erhöhung oder abzüglich der durch die Herstellung eingetretenen Verringerung beurteilt werden."
Aber auch die "gesetzgeberische Konstruktion der Wirklichkeit", um mal ein berühmtes Buch von Peter L. Berger und Thomas Luckmann zu paraphrasieren, hat ihre Grenzen. Dem sogenannten Transrapid-Bedarfsgesetz, das 1996 verabschiedet wurde, gelang es nicht, die deutsche Magnetschwebebahn Realität werden zu lassen. Nicht zuletzt deshalb wurde es wohl im Jahr 2001 vom Bundestag wieder aufgehoben.

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18.3.08

eine neue sozialversicherung ?

Wenn ich das richtig sehe, dann plädieren ausgerechnet die Vertreter von Großbanken im Moment vehement indirekt für die Einführung einer Art Sozialversicherung für Banken und Versicherungsunternehmen ... Damit in Zukunft nicht bei jeder selbst- oder fremdverschuldeten Notlage die Steuerzahler einspringen müssen.

Nachtrag: Auch Statler findet, dass der Staat im Notfall bei Investmentbanken wie Bear Stearns helfen muss. Wenn er Recht hat, ist es nur noch ein kleiner Gedankenschritt bis zu irgend einer Form der kollektiven Pflichtvorsorge. Ist Bernanke der neue Bismarck?

Nachtrag 2: Der Spiegelfechter sieht ebenfalls nicht ein, warum die Verluste privater Kreditinstitute immer wieder verstaatlicht werden und schlägt einen Pflichtfonds der Banken vor:
"Da es nicht Aufgabe des Steuerzahlers sein kann, für das Versagen von einzelnen Bankmanagern geradezustehen, muss ein Notfonds geschaffen werden, der in einem solchen Falle einspringt (...) ein solcher Fonds sollte sogar vom Staat vorgeschrieben sein, um im Notfall Liquidität zur Verfügung zu stellen. Der Staat erlässt jedes Jahr hunderte, wenn nicht sogar tausende, verpflichtende Betriebspläne, wenn technische Vorgaben, die ein Unternehmen einzuhalten hat, im Interesse der Allgemeinheit stehen – warum gibt es solche Betriebspläne nicht für Banken, die täglich mit der Überlebensfähigkeit der ganzen Volkswirtschaft jonglieren?"

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12.3.08

nomen est omen

"Nach dem Ende des Kalten Krieges war zunächst der Eindruck entstanden, dass dies vielleicht das Ende der Geschichte sei, wie ein japanischer Autor meinte." [Angela Merkel]
Hmm ... da hat uns die Sphinx auf der 41. Kommandeurtagung der Bundeswehr wieder ein schweres Rätsel aufgegeben. Wer war bloß dieser ominöse japanische Autor, der mit dem kalten Krieg auch jegliches weltpolitische Zeitgefühl schwinden sah? Francis Fukuyama, der 1992 das Buch "Das Ende der Geschichte" veröffentlichte, kann es nicht gewesen sein. Der ist nämlich US-Amerikaner, 1952 in Chicago geboren, Student in New York und Boston, in den 80er Jahren Mitglied im Planungsstab des US Außenministerium und heute Professor für Politikwissenschaft an der Washingtoner Johns Hopkins Universität.

Oder ist er vielleicht doch gemeint? Aus der Sicht eines Landes, in dem bis vor kurzem allein das Abstammungsprinzip über die Staatsangehörigkeit entschied, ist ja in gewisser Weise jeder Fukuyama ein Japaner. Egal, was im Pass steht.

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7.3.08

schlechtes gewissen

Wie kommt es eigentlich, dass Zootiere, die von ihren Eltern verstoßen wurden, in Deutschland zu Medienstars werden?

Könnte es sein, dass es sich um einen unbewussten Abwehrmechanismus gegen die grausame Realität der Kindstötungen in Ostdeutschland handelt? Ein Versuch der stellvertretende Wiedergutmachung? Die Konstruktion einer heilen Phantasiewelt als Gegenentwurf zur Wirklichkeit zerrütteter Familienverhältnisse?

Ich glaube es wird langsam Zeit, dass sich die Psychoanalyse dem Phänomen Knut zuwendet.


[Nachtrag: Hat sie schon. Nur hat es kaum einer mitgekriegt.]

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5.3.08

facetten der politik

"Wortbruch kann viele Facetten haben." [Andrea Ypsilanti]
"Dass ein Politiker das Wort Wortbruch selber ausspricht, wenn ihm ein Wortbruch vorgehalten wird, weil er etwas anderes zu tun ankündigt, als er bisher angekündigt und versprochen hat. Wann hat es das, Politologen Deutschlands, hier zuletzt gegeben?" [Rainald Goetz]

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