29.3.06

ping-pong-politik

Die große Koalition will den deutschen Föderalismus reformieren. Die enorme institutionelle Verflechtung von Bund und Ländern und die daraus resultierenden Politikblockaden sollen beseitigt werden. Bundesregierung und Bundestag sollen künftig entspannt durchregieren können. Aber wie, so fragt man sich, will die große Koalition das anstellen? Wie kann ein politisches System, das sich an allen Ecken und Enden selbst blockiert, sich aus eigener Kraft reformieren?

Die überraschende Antwort lautet: durch eine Neuinterpretation der sogenannten "konkurrierende Gesetzgebung". Was ursprünglich als konstitutionelle Regel zur Bestimmung der optimalen Gesetzgebungsebene gedacht war wird nun zum endlosen Ping-Pong-Spiel zwischen Bund und Ländern. Im Originalton der Bundesregierung hört sich das dann so an:
"Bund und Länder haben die Möglichkeit, (...) Gesetze zu erlassen - sie konkurrieren also. Nimmt der Bund sein Gesetzgebungsrecht wahr, gilt dieses Gesetz. Allerdings dürfen die Länder andere Gesetze erlassen und von der Gesetzgebung des Bundes abweichen.

Erneuert der Bund dann sein Recht - etwa weil er eine europäische Richtlinie umsetzt - geht das neue Bundesrecht dem Landesgesetz vor. Die Länder haben dann wiederum die Möglichkeit, von diesem Recht abzuweichen. Sie müssen aber die europäischen Vorgaben beachten".
Wenn irgendwann niemand mehr weiß, welches Gesetz in welchem Teil Deutschlands gerade in Kraft ist, dann hat die "Mutter aller Reformen" ihr Ziel erreicht.

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28.3.06

x-mal Deutschland (2)

Ein deutsches Leben im Zeitraffer:
  • Bockwurst in Dosen
  • Cervelatwurst
  • Miederhöschen, synthetische Faser
  • Geldscheintasche für Herren
  • Tapete, Raufaser
  • Müll, groß
  • Anbauteil einer Wohnwand
  • Laminat-Fertigbodenpanele
  • Akkuschrauber
  • Melissengeist
  • Abschleppseil
  • Stationäre Gesundheitsdienstleistungen
  • Friedhofsgebühren
  • Rechtsanwalts- und Notargebühren
  • Kleinanzeige
Die restlichen 735 Etappen hier im repräsentativen deutschen Warenkorb des Statistischen Bundesamts.

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27.3.06

der untergang des abendbrots

Die Globalisierung ist überall. Manchmal sogar in Deutschland. Ihr hierzulande vielleicht prominentestes, gleichzeitig aber auch am wenigsten beachtetes Opfer ist das Abendbrot. Als nahezu perfekte Verkörperung traditioneller deutscher Tugenden wie der Bescheidenheit, Sparsamkeit, aber auch der Ordnung und Verlässlichkeit ist es uns allen wohlbekannt. Umso erschreckender ist sein ebenso unsichtbarer wie unaufhaltsamer Abschied aus dem deutschen Esszimmer. Wo früher Leberwurst, Mortadella und Scheibenkäse mit ungesalzener Butter und vorgeschnittenem Grau- und Schwarzbrot Beständigkeit signalisierten, herrscht heute die kulinarische Willkür vor. Lammkeule, Fischcurry, Gemüsewok ... anything goes in der deutschen Einbauküche. Kein Wunder, dass die Deutschen - einer aktuellen Allensbach-Studie zufolge - immer ängstlicher ihrer Zukunft engegensehen.

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26.3.06

politikflatrate

In einem Spiegel-Online Interview , das jedem surrealistischen Theaterstück zur Ehre gereicht hätte, erklärt Justizministerin Brigitte Zypries die geplante Novelle des Urheberrechts. Grundtenor ihrer Aussagen: durch das neue Gesetz bleibt alles beim alten. Trotz wiederholten und immer verzweifelteren Nachhakens des Interviewers ist die Justizministerin nicht dazu zu bewegen, auch nur einen einzigen Punkt zu nennen, in dem sich die Gesetzesnovelle vom geltenden Recht unterscheidet. Einen seiner surrealistischen Höhepunkte erreicht das Gespräch wenn Zypries zugibt, dass die von Verbraucherverbänden geforderte Bagatellklausel aus dem Gesetzentwurf gestrichen wurde, damit kein "falsches Signal" gesetzt würde, gleichzeitig aber versichert, dass Bagatelldelikte, wie z.B. das Kopieren einer geschützten CD für den Privatgebrauch, nach wie vor nicht strafrechtlich verfolgt würden. Jeder, der das Interview liest, kommt unweigerlich zum Schluss, dass die Justizministerin weder falsche noch richtige Signale senden will, sondern ihre Aufgabe ausschließlich darin sieht, überhaupt kein Signal zu setzen. Statt aufzuklären wird abgewiegelt. Statt zu informieren wird verschleiert.

Leider hat der Spiegel nicht gefragt, warum, wenn sich tatsächlich überhaupt nichts ändern sollte, überhaupt der ganze Gesetzgebungsapparat in Gang gesetzt werden musste. Und warum sich der Bundestag mit der ziemlich utopischen Idee einer Kulturflatrate befasst, während die Bundesregierung - ohne dies offen zuzugeben - die Weichen für einen Abbau von Verbraucherrechten stellt. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht, ist nur scheinbar einer. In Wirklichkeit zeigt sich hier ein immer häufiger anzutreffendes Muster der deutschen Politik: Die Regierung setzt sich mit den "beteiligten Kreisen" zusammen und trifft eine Entscheidung. Der Bundestag darf sich währenddessen ein Weilchen mit schönen, futuristisch anmutenden Ideen vergnügen. Am Ende muss er den zwischen den Interessengruppen ausgehandelten Kompromiss mit ein paar kosmetischen Korrekturen verabschieden und ihn damit nachträglich legitimieren. Unter der großen Koalition mit ihrer ungefährdeten Stimmenmehrheit wird diese Strategie perfektioniert.

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24.3.06

höhepunkte

In einem Radiointerview hat die baden-württembergische SPD-Spitzenkandidatin Ute Vogt gestern gebeichtet, schon einmal einen Orgasmus vorgetäuscht zu haben. Wie in solchen Fällen üblich, ließ der öffentliche Aufschrei nicht lange auf sich warten. Was die Berichterstattung der Medien bisher jedoch vergisst ist dass sich Frau Vogt dabei durchaus in illustrer Gesellschaft befindet. Hat nicht ihr ehemaliger Parteichef und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder höchstpersönlich in der Wahlnacht des 18. September 2005 stundenlang und vor sämtlichen Fernsehkameras seinen dritten Wahlsieg in Folge vorgetäuscht? Keine Frage, Sein und Schein driften in der deutschen Sozialdemokratie immer weiter auseinander. Sowohl im Politischen wie auch im Privaten.

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21.3.06

schwarz-weiß denken

Wir Deutschen verhalten uns in der Welt wie der Elefant im Porzellanladen. Bedächtig und behutsam schleichen wir über die Weltbühne, ständig bemüht nirgendwo anzustoßen. Wenn wir uns aber auch nur ein einziges winzig kleines Mal ablenken lassen, dann kracht es meist ganz gehörig.

Zwar entzieht es sich meiner Kenntnis, wovon sich die Kommentatoren der Berliner Zeitung und des Tagesspiegels gestern haben ablenken lassen, aber mehr als die tägliche Verdauungsmüdigkeit muss es schon gewesen sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass beide Zeitungen im Gleichschritt ihre tiefverwurzelte politische Korrektheit, ihre grenzenlose Solidarität mit den Armen und Benachteiligten dieser Welt und ihren eingefleischten Respekt vor allen anderen ethnischen Gruppen über Bord geschmissen und die Demokratische Republik Kongo als "Dschungel" bzw. "Busch" bezeichnet haben? Besonders verwunderlich ist dabei, dass die Überschriften "Keine Wahl im Dschungel" (Tagesspiegel) und "Der erste Angeklagte aus dem Kongo-Busch" (Berliner Zeitung) nicht etwa ein differenziertes Weltbild subtil ironisierend auf den Punkt bringen - was zumindest auf Seite 3 und im Feuilleton deutscher Tageszeitungen ja durchaus zulässig wäre - sondern einfach nur dümmlich-platt sind. Ihr einziger Zweck ist es, latente Vorurteile und Ressentiments zu wecken und dadurch den Leser auf die eigene Seite zu ziehen. Die beifallsheischende Botschaft lautet: "Wir sind die Guten". Jenseits des Boulevards schien diese Art des "Journalismus" eigentlich schon längst ausgestorben. Manchmal aber, wenn das Korsett der moralischen Selbstdisziplin für einen kurzen Moment verrutscht, bricht sie um so heftiger wieder hervor. Nur der laute Krach wird diesmal wohl ausbleiben, denn der Kongo hat im Moment größere Probleme als sich mit dem intellektuellen Blackout einiger "Hauptstadt"-Re(d)akteure auseinanderzusetzen.

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20.3.06

dialektik der belehrung (2)

Im Falle eines “Falles” - für gleich oder später :




















Die Belehrung bleibt, auch wenn für ihre Befüllung längst kein Geld mehr da ist.

[gesehen in Lychen, Brandenburg]

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18.3.06

land der gegensätze

Deutschland ist das Land der Gegensätze. Auf einen charismatischen, weltgewandten und schillernden Außenminister folgt ein blasser, nichtssagender Bürokrat und offensichtlich stört sich niemand daran. Während Joschka Fischer bahnbrechende Themen angesprochen hat, drischt Steinmeier leere Phrasen. Ein Beispiel? In einer gestrigen Regierungserklärung erklärt er: "Die EU hilft uns, auf den Weltmärkten konkurrenzfähig zu bleiben (ach ja, und wie?). Und zwar durch eine möglichst kohärente Außenpolitik, durch eine zunehmend vernetzte Innenpolitik (ach so ??). Und durch eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftliche Solidarität zu einem fairen Ausgleich bringt (na klar, warum bin ich da nicht selbst drauf gekommen??)." Fischer hätte fürs Nichtssagen auf jeden Fall weniger Worte gebraucht.

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17.3.06

und sie bewegt sich doch ... nicht

"Wenn die Deutschen sieben Jahre gesonnen haben über etwas, was sie tun sollen, so ist es am Ende, wenn es getan ist, immer eine Übereilung."

Zwar sollte man diese Aussage nicht voreilig als Beleg für die physikalische Möglichkeit von Zeitreisen ansehen, aber woher sonst kannte der Hochschullehrer und Publizist Joseph Görres, der angeblich zwischen 1776-1848 lebte, die aktuelle Debatte um die Reform des deutschen Föderalismus? Ziemlich genau sieben Jahre ist es her, dass sich die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer im Dezember 1998 die "Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" zum Ziel gesetzt haben. Nach unzähligen Beiträgen von Politikern und Wissenschaftlern und dem zwischenzeitlichen Scheitern der Föderalismuskommission gibt es nun endlich einen Gesetzesentwurf zur Föderalismusreform. Und - Joseph Görres hatte es vor fast 200 Jahren bereits geahnt - die Reform ist alles andere als perfekt. Tatsächlich kann das, was jetzt dem Bundestag vorliegt, trotz des siebenjährigen Anlaufs nur als übereilt, unausgegoren und handwerklich schlecht bezeichnet werden. Das haben auch die Parteifraktionen erkannt. Statt die Reform wie geplant vor der Sommerpause zu verabschieden, wird jetzt jeder einzelne Bestandteil des Reformpakets erneut in Frage gestellt. Als hätte man nicht schon sieben lange Jahre darüber diskutiert. In der Zwischenzeit lacht Herr Görres sich in seiner Parallelwelt wahrscheinlich heimlich in Fäustchen. Irgendwann kriecht er dann aus dem Wurmloch hervor, das seine Welt mit unserer Zeitzone verbindet, und sagt, bis über beide Ohren grinsend: "Siehste".

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15.3.06

x-mal Deutschland

Deutschland und die Deutschen zu beschreiben wird immer schwieriger. Was ist typisch deutsch? Was sind genuin deutsche Werte und Tugenden? Woran erkenne ich einen Deutschen, wenn er vor mir steht? Immer schwerer fällt es, überzeugende Antworten auf diese Fragen zu finden. Ausgerechnet das hessische Innenministerium hat nun den Versuch gewagt, das deutsche Wesen in 100 als Fragen getarnten Stichworten zu definieren. Das Ergebnis (nachzulesen im gestern vorgestellten hessischen "Wissens- und Wertetest") ist ernüchternd.

Deutschland, so scheint es, ist nicht mehr, als eine leere Hülle bestehend aus Landesgrenzen, Gesetzen, Verfassungsprinzipien, Mittelgebirgen, Geschichtsereignissen (bis 1989), Pflichten, Klauseln, Amtsbezeichnungen, Parteien, Vereinen, Bürgerinitiativen, Philosophen, Schriftstellern (Goethe, Schiller), Komponisten (Beethoven), Wissenschaftlern, Sportlern, und Pionieren des Automobilbaus. Deutsch sein heisst Vergangenheit sein. Deutsch werden ist dann gerechterweise nur denen gestattet, die die folgende Frage beantworten können: "Die Bundesrepublik Deutschland hat einen dreistufigen Verwaltungsaufbau. Wie heißt das unterste politische Gemeinwesen?" (Frage Nr. 68).

Nachtrag: Metalust & Subdiskurse findet auch, dass der Versuch das typisch "deutsche" zu definieren das Interessanteste am hessischen Fragebogen ist. Trotz aller Verstaubtheit des Deutschlandbildes der Verfasser bewertet er das ganze aber ein klein wenig positiver.

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14.3.06

dialektik der belehrung

Zwischen kritischer Aufklärung und rechthaberischer Belehrung verläuft ein sehr schmaler Grat. In Deutschland ist er kaum mehr sichtbar. Schneller als in irgendeinem anderen Land verwandeln sich bei uns weitsichtige Aufklärer in engstirnige Missionare. So zum Beispiel die Macher des BildBlog. Angetreten mit dem Ziel, die tendenziöse und manipulierende Berichterstattung des Boulevardblattes zu entlarven, wandelt sich der BildBlog immer mehr zur bloßen Besserwisserei. Unter der Überschrift "Kurz korrigiert" werden in inzwischen mehr als 70 Einträgen Tippfehler und belanglose Ungenauigkeiten der Bildzeitung penibel dokumentiert. Dabei ist der aufklärerische Gehalt von Beiträgen, die widersprüchliche Angaben über das Alter von Paris Hilton aufdecken, mehr als fraglich. Peinlicher ist es dann nur noch, wenn Bildblog süffisant darauf hinweist, dass Bild die Fehler nachträglich korrigiert hat. Triumph auf der ganzen Linie. Aber, wenn der Weg zum Ziel wird, dann ist das Ziel irgendwann weg.

Möglicherweise liegt das Hauptproblem aber auch gar nicht in der vermeintlichen Eitelkeit und Besserwisserei der BildBlogger. Vielleicht liegt liegt es an ihrem Gegenstand, dass die Kritik langsam zur Routine verkommt. Vielleicht hat Hans Magnus Enzensberger das alles - lange vor der Erfindung des Internets - schon vorausgesehen:

"Die Bild-Zeitung zu analysieren, ist zum ersten Mal eine lohnende Aufgabe, zum zweiten Mal eine Strafarbeit, zum dritten Mal eine Beschäftigung, die Ekel und Überdruss erregt".

Vielleicht liegt das Hauptproblem deutscher Aufklärer darin, dass sie nicht merken, dass Aufklärung nicht nur schwer als Daueraufgabe betrieben werden kann, sondern irgendwann auch mal ein Ende haben muss.

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13.3.06

sprach gefühl

Nicht nur der deutsche Fußball, auch unsere Sprache ist den entfesselten Kräften der Globalisierung nahezu hilflos ausgeliefert. Die wundersame Vermehrung des Apostrophs oder das unerklärliche Verschwinden des Bindestrichs kennt inzwischen jeder. Das alles ist jedoch nichts gegen die unfreiwillige Komik, die entsteht, wenn sich Behörden an die Übersetzung englischsprachiger Modebegriffe machen. Selbst das Auswärtige Amt, dem man fehlenden Kontakt mit der großen weiten Welt ja eigentlich nicht nachsagen kann, und das sich immerhin einen eigenen Sprachendienst leistet, ist hiervor nicht gefeit. Geblendet vom Glanz der englischen Wortfassade und in Abwesenheit jeglichen Sprachgefühls heisst es in einem Papier des Auswärtigen Amtes:
"Anfang dieses Jahres hat Italien seine Initiative „e-Regierung für Entwicklung“ angekündigt, ein größerer Beitrag zur Stärkung des Bewusstseins sowie zur Planung und Implementierung von e-Regierungsprogrammen in Entwicklungs- und Schwellenländern."
Staatlich finanzierte "Eregierungsprogramme" in Schwellenländern als "Beitrag zur Stärkung des Bewusstseins" ... im digitalen Zeitalter ist nichts unmöglich.

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9.3.06

zwischentöne

Irgendwann im Laufe der Evolution sind in Deutschland die "Zwischentöne" abhanden gekommen. Jede Debatte wird heute so geführt, als gäbe es nur zwei, sich gegenseitig ausschließende Alternativen. Es geht um "alles oder nichts", "jetzt oder nie", "schwarz oder weiß", "links- oder rechtsdrehend". Die meisten politischen und gesellschaftlichen Debatten folgen dabei einem einheitlichen Schema. Zuerst wird ein Problem aus seinem konkreten Kontext herausgelöst und auf eine hochabstrakte philosophisch-moralische Ebene verlagert. Dann beginnt ein kleiner Zirkel hochrangiger Generalisten aus Politik, Medien, Verbänden, Gewerkschaften, dem Friseurgewerbe und der Unterhaltungsindustrie über diese Abstraktion zu diskutieren. Jeder kann bei dieser Debatte mitreden. Das einzige, was stören könnte sind Kompetenz und Sachkenntnis. Am anschaulichsten wird das bei Sabine Christiansens Talkshow, wo jeden Sonntag Abend zu wechselnden Themen dieselben Argumente von denselben Partei- und Verbändeprotagonisten mit demselben überschäumenden Eifer vorgebracht werden. Nur wenn zufälligerweise einmal ein Sachargument vorgebracht wird greift die Talkmeisterin ein. Sowohl die Fragen als auch die Antworten werden austauschbar: falls irgendwann einmal ein Techniker der ersten Reihe die falsche Christiansen-Kassette einschieben sollte - keiner würde es merken.

Wirklich politische Debatten sind selten in Deutschland. Und das nicht weil sie von einem repressiven System verboten werden , sondern sie von einer Heerschar plappernder Generalisten dominiert werden, die jeden Funken von Fach- und Expertenwissen im Kein ersticken. Die "hohe Politik" in Deutschland ist heute nicht mehr als ein endlos wiederkehrendes Ritual. Der einst als Ausnahme gefeierte politische Aschermittwoch ist längst zum poltischen Alltag geworden.

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8.3.06

die wahre regierungserklärung

In einem Interview mit der Bild-Zeitung sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Ich verspreche nicht mehr, als ich halten kann. Das war in früheren Regierungen nicht immer so, und das hat dazu geführt daß Politikern weniger vertraut wird. Ich verspreche lieber weniger und das tritt dann auch ein. Realität und Erwartung müssen näher zusammenrücken".

In der offiziellen Regierungserklärung vom November 2005 versprach Merkel noch, den Arbeitsmarkt fit zu machen, die Schulen und Hochschulen wieder an die Spitze zu führen, die Verschuldung zu bändigen und das Gesundheits- und Rentensystem in Ordnung zu bringen. Seitdem hat sie offenbar intensiv in Arthur Schopenhauers Schriften geblättert und entdeckt, dass es immer zwei Wege zu Glück und Zufriedenheit gibt: entweder man strengt sich an oder man reduziert seine Erwartungen. Nach nur 100 Tagen an der Regierung hat sich die Bundeskanzlerin für den einfacheren Weg entschieden.

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7.3.06

tugendwahn

Sind Pünktlichkeit, Fleiß und Zuverlässigkeit eigentlich noch typisch deutsche Tugenden? Ich fange jedenfalls erst dann an zu arbeiten, wenn der Abgabetermin als Haltbarkeitsdatum auf jeder Milchpackung steht.










[Nachtrag 18.12.2007: Wie ich gerade lese, hat die neue deutsche Tugend des Aufschiebens jetzt auch einen offiziellen Namen: Prokrastination.]

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5.3.06

vollkasko-fußball

Nach der 1:4 Niederlage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien wollen deutsche Politiker Bundestrainer Jürgen Klinsmann vor den Bundestag zitieren. Er soll den Volksvertretern erklären, wie er sicherstellen will, dass Deutschland im Sommer wie geplant die Fußballweltmeisterschaft gewinnt. "Ich würde mich freuen, wenn der Bundestrainer dem Sportausschuss sagen würde, wie er eine sichere Basis für das Team schaffen will" (Reinhold Hemker, SPD). Immerhin sei die WM ein "nationales Anliegen" (Miriam Gruß, FDP). Interessanterweise ist diese Einmischung der Politik in sportliche Ereignisse kein Einzelfall, der sich aus einer spontanen Panikreaktion der Parlamentarier auf ein desolates WM-Testspiel erklären ließe. Bereits im Februar 2006 haben die SPD-Bundestagsabgeordneten Steffen Reiche und Peter Danckert einen Gesetzesentwurf zur Verankerung des Sports im Grundgesetz vorgelegt. Wortlaut des geplanten Artikel 20b des Grundgesetzes: "Der Staat schützt und fördert die Kultur und den Sport". Als Grund gibt der ehemalige Brandenburgische Sport- und Bildungsminister Reiche an, es sei "gesellschaftlich geboten, dem Staat Aufgaben zuzuweisen, damit er die Bürger vor den Folgen der Globalisierung schützen kann. Eine nationale Verfassung hat nun einmal auch die Aufgabe, relevante Lebensweisen und soziokulturelle Instrumentarien vor dem Ansturm ungefesselter Globalisierungskräfte zu bewahren". Spätestens im Frühjahr 2006 ist die inzwischen schon charakteristische Vollkasko-Mentalität der Deutschen damit endlich auch beim Sport angekommen.

Zwar erscheint es zunächst als einigermaßen absurd, dass die Politik, die kaum in der Lage ist ihre eigentlichen Kernaufgaben zu erfüllen, jetzt auch noch die Verantwortung
für das Abschneiden einer nicht gerade überzeugenden deutschen Fußballnationalelf an sich ziehen möchte. Wirklich überraschend ist dieses Anliegen aber nicht. Es spiegelt vielmehr die weitverbreitete Überzeugung wider, dass das politische System immer dann (und nur dann) zuständig ist, wenn andere Teile der Gesellschaft ihre Probleme nicht mehr alleine lösen können. Geht es den Bauern gut, stört Politik nur, bricht aber eine Geflügelpest aus, so muss die Politik unverzüglich "Entschädigung" zahlen. Laufen die Geschäfte der Banken und Versicherungsgesellschaften gut, dann stört der Staat nur, haben sie sich aber an der Börse verspekuliert, dann muss die Politik einspringen und die Ersparnisse der kleinen Leute retten. Gelingt es dem Deutschen Fußballbund nicht, ausreichend guten Nachwuchs zu fördern und einen kompetenten (und manchmal auch physich präsenten) Fuballtrainer zu finden, dann muss der Bundestag einspringen. Warum aber lässt sich die Politik darauf ein?
"Als gerufene Kraft, die Verhältnisse in Ordnung zu bringen, wirkt (die Politik) hauptsächlich dadurch, dass sie dem Appellieren an Politik keine Schranken zieht. So reproduziert sie Hoffnungen und Enttäuschungen und lebt davon, dass die Themen, an denen dies geschieht, hinreichend schnell ausgewechselt werden können" (Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation).
Wider besseren Wissens glauben einige deutsche Politiker also offenbar selbst daran, alle ungelösten gesellschaftlichen Probleme lösen zu können. Was aber bedeutet das für den deutschen Fußball und die anstehende Weltmeisterschaft? Was genau kann die Politik tun, damit Deutschland bei der WM eine Chance hat? Um die entfesselten Kräfte der Globalisierung zu zähmen, bleibt dem ums Wohl der deutschen Fußballfans besorgten Parlament nur eine Option: es muss schnellstmöglich ein Gesetz verabschieden, das alle Nationalmannschaften verpflichtet ausschließlich mit deutschen Spielern anzutreten. Nur so kann der Globalisierungsdruck verringert und die deutsche Fußballnationalmannschaft wirksam vor Wettbewerbsnachteilen geschützt werden.

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3.3.06

ein leichtes los

In seinem 1989 erschienenen Buch Studien über die Deutschen schreibt der Soziologe Norbert Elias: "Schon früher war die Unsicherheit über den Wert und Sinn, den es hat, ein Deutscher oder eine Deutsche zu sein (...) groß. Sie ist es heute mehr denn je". Eine aktuelle Studie der Universität Chicago bestätigt dies. Basierend auf einer 2003/04 durchgeführten repräsentativen Umfrage in 32 Ländern [33 wenn man wie die Autoren der Studie Ost- und Westdeutschland als unterschiedliche Staaten zählt] wird eine globale Rangliste des Nationalstolzes erstellt, auf der Deutschland - wie nicht anders zu erwarten - ganz weit hinten liegt. Anders als die US-Amerikaner, die Venezolaner, die Australier und - überraschenderweise - die Österreicher, die die vorderen Plätze im Ranking einnehmen, spielt die nationale Identität für die Deutschen offenbar keine große Rolle. Bei uns gilt auch heute noch der Satz Hans Magnus Enzensbergers: "Ein Deutscher zu sein, das scheint mir kein schwierigeres oder leichteres Los als irgendein anderes".

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1.3.06

feine unterschiede

In einem Interview mit Spiegel Online macht sich Grünen-Chef Fritz Kuhn Gedanken über die neue Rolle seiner Partei in der Opposition: "Für mich ist Opposition nicht Mist, sondern Dung für künftiges Regieren". Ein nettes Wortspiel zwar, aber für die öffentliche Wahrnehmung der Öko-Partei nicht unbedingt hilfreich. Die metaphorisch verpackte Botschaft einer anstehenden programmatischen Erneuerung der Grünen kommt nicht an. Stattdessen beginnt der Leser, intensiv über den möglichen Unterschied zwischen Mist und Dung zu sinnieren. Die Gedanken schweifen ab, wandern von der grünen Parteizentrale schnurstracks in den nächsten Kuhstall, wo die einstige Regierungsfraktion Nährstoff für künftige Programm- und Ideologieblüten aus dem Kot glücklicher Huftiere saugt. Wie die programmatische Erneuerung der Grünen aussehen wird bleibt ungewiss. Klar ist nur, dass die Partei auch in Zukunft ihre ganz eigenen Duftnoten setzen wird.

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(r)echtschreibreform

Nicht nur Revolutionen(*), auch Reformen sind in Deutschland ein zähes Geschäft. Ein Beispiel ist die Rechtschreibreform. Beschlossen im Jahr 1996 wartet sie immer noch auf ihre Umsetzung. Auch nach Ablauf einer neunjährigen Übergangsfrist im Juli 2005 orientieren sich fast 200 Zeitungen und Zeitschriften weiterhin an den vor der Reform üblichen Rechtschreibregeln oder verwenden ihre jeweils eigene Mixtur aus alten und neuen Regelungen. Buchverlage entwickeln eigene "Hausschreibungen" und selbst die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen verweigern den Reformern die Gefolgschaft. Im Jahr 2004 wurde ein Rat für deutsche Rechtschreibung eingesetzt(**), der sich selbst als "die Antwort auf die anhaltende Kritik an der so genannten Rechtschreibreform" versteht. Auf Weisung der Ministerpräsidenten- und Kultusministerkonferenz befasste er sich zunächst allerdings nur "mit den strittigsten Fragen der bestehenden Neuregelung der Rechtschreibung, nämlich der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Zeichensetzung und der Worttrennung am Zeilenende". Am Rosenmontag legte er der Kultusministerkonferenz der Länder dann seine Empfehlungen zu Änderungen der Rechtschreibreform vor. Die Kultusministerkonferenz will die Änderungen Ende der Woche beschließen, so dass sie nach den Sommerferien in den Schulen umgesetzt werden können.

Ist die Reform damit gelungen? Die Antwort ist, wie so oft, ein klares Jein. Formal kann die Rechtschreibreform nun in Kraft treten. Buch- und Zeitungsverlage wie auch die bisher kritischen Bundesländer haben bereits signalisiert, dass sie die neuen Empfehlungen akzeptieren werden. Inhaltlich hat die Reform ihr wichtigstes, revolutionärstes - aber auch sprachfeindlichstes - Ziel jedoch klar verfehlt. Der Versuch, Groß- und Klein-, Getrennt- und Zusammenschreibung nicht mehr an (letztlich subjektiven) Bedeutungs- und Betonungsunterschieden festzumachen, sondern ausschließlich über formalgrammatische Kriterien zu regeln, ist gescheitert. Die entsprechenden Empfehlungen des Rates lesen sich wie eine Dokumentation deutscher Reformohnmacht. Am vorläufigen Ende eines zehnjährigen Reformprozesses wurde in weiten Bereichen nicht mehr erreicht, als die schon immer bestehenden informellen Schreibregeln mit all ihren Ungreimtheiten nachträglich amtlich zu fixieren. Im Zeitalter des angeblichen Bürokratieabbaus eine bemerkenswerte Leistung.

Schon 1998 hatte der deutsche Bundestag festgestellt: „Die Sprache gehört dem Volk!“. Der bürokratischen Umsetzung dieser bahnbrechenden Einsicht in 16 Bundesländern und auf der Ebene des Bundes steht nun nichts mehr im Wege.

*) "Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!" (Lenin). Noch gnadenloser ist Alfred Döblin: "Eine deutsche Revolution. Also keine."

(**) Wie immer wenn die heillos verflochtenen und sich gegenseitig blockierenden politischen Institutionen des deutschen Föderalismus nicht mehr weiter wissen wurde die Entscheidungsvorbereitung einer externen Expertenkommission übertragen. Damit es zu keinen überraschenden Ergebnissen kommt, wurde der Rat allerdings mehrheitlich mit Reformbefürwortern besetzt. Das begrenzte Mandat auf die "strittigsten Fragen" der Rechtschreibreform sollte außerdem sicherstellen, dass auf keinen Fall die Reform als Ganzes in Frage gestellt würde.

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