30.11.07

der neid der großen weiten welt


Gäbe es einen Wettbewerb, wer die meisten unbewiesen Behauptungen in einem einzigen Satz unterbringen kann, Kulturstaatsminister Neumann wäre auf jeden Fall im Kreis der Favoriten:
"Die Welt beneidet uns um unsere vielen kulturellen Metropolen."

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27.11.07

anglizismen - oder: vom wert des herumhüpfens im sprachlichen mehrebenesystem

Griechisch ist das Englisch von gestern. Das ist jedenfalls der Eindruck, der sich aufdrängt, wenn man heutige politikwissenschaftliche Texte mit denen früherer Tage vergleicht. Es gab und gibt kaum einen Text, in dem die zentralen Fachbegriffe nicht in einer fremden Sprache verklausuliert worden wären. Früher mussten Altgriechisch und Latein dafür herhalten. Heute hat zum Glück das Englische diesen Platz eingenommen. Zum Glück, weil man Englisch im Gegensatz zu den alten Sprachen auch in der Freizeit ganz gut verwenden kann.

Außerhalb der akademischen Welt wird dieses Verhalten meist als pure Arroganz elitärer Elfenbeinturmbewohner interpretiert. Diese Ansicht ist genauso populär wie falsch. Meistens hat die Verwendung fremdsprachlicher Begriffe nämlich zwei viel simplere Gründe: das definitorische Bedürfnis nach sprachlicher Präzision, dem mit Fremdworten viel besser Rechnung getragen wird als mit umgangssprachlich "vorbelasteten" deutschen Begriffen und zweitens die schiere Faulheit, Begriffe, die man selbst schon verstanden hat, in eine auch für andere verständliche Sprache zu übersetzen.

Manchmal, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten, müssen aber auch Politikwissenschaftler den Versuch unternehmen, ihren Fachwortschatz für andere verständlich zu machen. Und dann werden sie oft richtig kreativ. Da passiert es dann schon mal, dass der technokratisch-neutrale Begriff des Policy-Networks ganz unverblümt als Filz übersetzt wird oder - wie jüngst auf einer Berliner Podiumsdiskussion - Veto-Player, d.h. institutionell verankerte Mitspracherechte im politischen Entscheidungsprozess, als "professionelle Nein-Sager" bezeichnet werden.

Das sind dann die raren Momente, in denen die orthodox-positivistische Wissenschaft der Gegenwart den Wert des assoziativen Denkens wiederentdeckt. Zumindest bei der sozialwissenschaftlichen Hypothesenbildung wäre es nämlich gar nicht schlecht, den eigenen Gedanken von Zeit zu Zeit mal freien Lauf zu lassen. Das hin-und-her-Übersetzen von Fachbegriffen im sprachlichen Mehrebenensystem ist dafür eine ziemlich gute Übung.

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21.11.07

büchner revisited

"Nach dem Georg-Büchner-Gymnasium in Köln wurde jetzt auch das Georg-Büchner-Gymnasium in Kaarst wegen akutem Amok geschlossen. Der derzeitige Georg-Büchner-Beauftragte am Deutschen Hochstift für Sprache und Dichtung, Martin Mosebach, wurde gestern sofort an die Georg-Büchner-Oberschule in Berlin Tempelhof berufen, um in einem Schutzvortrag über George, Büchner und die Gewalt an Schulen den Gewaltbegriff bei Büchner und George aus ihren historischen Folgen neu auszulegen."
[Aus Rainald Goetz' Klageblog]

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20.11.07

die agrarpolitik der zukunft

"Urlaub auf dem Bauernhof – das ist für mich die Zukunft der Agrarpolitik."
Leider ist Sigmar Gabriel nur Umwelt- und nicht Landwirtschaftsminister. Seine Vision der zukünftigen Agrarpolitik wird deshalb wohl auch in Zukunft Zukunft bleiben.


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19.11.07

guck mal, wer da spricht

"Wir sind fast 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union. Wir sind in wenigen Jahren neun Milliarden Menschen auf der Welt. Das heißt, im Durchschnitt muss ein Europäer noch 17 andere von uns und unseren Ideen überzeugen, bevor wir die Welt überzeugt haben. Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren es drei andere; da war jeder vierte Mensch auf der Welt Europäer. Heute ist nur noch jeder 12. bis 14. Mensch Europäer."
Es wird zwar auch beim zweiten und dritten Lesen nicht ganz klar, was diese Worte genau bedeuten sollen. Aber der feste Wille unserer Bundeskanzlerin, das seichte Wasser politischer Ansprachen zu verlassen und auch vor komplexen Zusammenhängen nicht zu kapitulieren, ist unverkennbar. Überhaupt geizt ihre Rede beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) nicht mit vielschichtigen Aussagen und wer zwischen den Zeilen lesen kann, der findet dort so ziemlich alles, wonach er gerade sucht. Schön ist zum Beispiel, wie sie die Worte "erfüllen" und "durchsetzen" scheinbar verwechselt, mit dieser Verwechslung aber die gesamte Expansionsstrategie der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten und deren Rückendeckung durch die EU Kommission und das Bundesverfassungsgericht in Frage stellt:
"Die EU-Kommission hat entschieden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland seinen Auftrag grundsätzlich auf allen Übertragungswegen durchsetzen kann, also auch im Internet. Diese Entscheidung respektieren wir. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zur GEZ-Gebühr im September die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von staatlicher Einflussnahme noch einmal klar unterstrichen. Diese Unabhängigkeit umfasst nicht nur Programmfragen, sondern auch ökonomische Fragen. Damit sind auch die Handlungsspielräume des Staates etwas eingeschränkt. Aber das kann nicht heißen – ich will das ganz deutlich sagen –, dass dem Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten keine Grenzen gesetzt wären."
Mit einfachsten Stilmitteln gelingt es der Kanzlerin (oder ihren RedeschreiberInnen), die kafkaeske Verselbständigung der öffentlich-rechtlichen Anstalten in all ihrer Absurdität zu charakterisieren. Aufträge sind nicht da, um erfüllt zu werden, sondern werden gegen den Willen des Auftraggebers und eines immer größeren Teils der "Leistungsempfänger" durchgesetzt. Schlimmer noch, der Staat ist offenbar zu schwach, dem Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten überhaupt noch Grenzen zu setzen, denn die genießen nicht nur programmatische, sondern auch finanzielle Unabhängigkeit.

Und mit ebenso einfachen Stilmitteln erklärt die Kanzlerin, dass sich das auch in Zukunft nicht ändern wird, dass sie sich mit ihrer Rolle als einflusslose Hausmeisterin in Kafkas Schloss längst abgefunden hat:
"Ich finde, man hat Anspruch auf pünktliche Nachrichtensendungen in der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung. [...] Kontaktbörsen oder nicht programmbezogene Chats sind von der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung weit entfernt."
Eine öffentlich finanzierte Grundversorgung, die alles umfasst außer Kontaktbörsen und nicht-programmbezogenen Chats. Das ist keine medienpolitische Utopie, wie es der beherzte Duktus der Rede suggerieren soll, sondern die ironisch-resignative Paraphrase des Status Quo.

Aber auch das menschlich-einfühlsame Element darf in ihrer Rede nicht fehlen und so sorgt Merkel sich am Ende ihrer Rede schnell noch um die Gefühle von ausländisch aussehenden Deutschen in unserer Medienlandschaft:
"Wenn man sich einmal in die Situation von Mitbürgern ausländischer Herkunft versetzt, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, aber einfach auch durch ihr Aussehen repräsentieren, dass sie aus anderen Ländern kommen, und feststellt, welche Rollen solche Menschen zum Beispiel als Schauspieler oder als Moderatoren in unseren Fernsehangeboten spielen – wenn beispielsweise ein Farbiger sagt: Ich würde auch gern einmal eine Bürgermeisterrolle spielen; ich bin schon zwanzig Jahre deutscher Staatsbürger, kriege aber immer nur den Kriminalfall angehängt und noch nicht einmal dessen Aufklärung – dann verspürt man, wie das Lebensgefühl aus der Sicht von Migranten ist. Deshalb, glaube ich, haben hier die Medien eine sehr, sehr entscheidende Aufgabe."
Vielleicht ist das ja der neueste Trend der politischen Kommunikation. Kreativ, witzig, sachkundig, kritisch. Und politisch absolut folgenlos.

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16.11.07

fair-y-tales

15.11.07

subvention 2.0

Aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Entschädigung von Telekommunikationsunternehmen für die Heranziehung im Rahmen der Strafverfolgung (TK-Entschädigung-Neuordnungsgesetz - TKEntschNeuOG) (PDF):
"Umsetzung einer Anordnung zur Überwachung der Telekommunikation, unabhängig von der Zahl der dem Anschluss zugeordneten Kennungen: je Anschluss 100,00 EUR [...]

Leitungskosten für die Übermittlung der zu überwachenden Telekommunikation: für jeden überwachten Anschluss je angefangenen Monat 75,00 EUR [...]

Der überwachte Anschluss ist ein digitaler Teilnehmeranschluss mit hoher Übertragungsgeschwindigkeit (DSL). Die Entschädigung [...] beträgt 200,00 EUR [...]

Auskunft über Bestandsdaten nach § 3 Nr. 3 TKG [...] je angefragten Kundendatensatz 18,00 EUR."

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kontingenz

Kontingenz ist einer der Lieblingsbegriffe der soziologischen Systemtheorie. Niklas Luhmann definiert Kontingenz als "etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist". Der rhetorisch etwas unkompliziertere Österreicher würde auch sagen: "Anything goes!".

Kontingenz ist aber nicht nur ein theoretisches Konstrukt. Kontingenz ist vor allem ein grundlegendes Prinzip der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Und als solches macht es jedem, der die gesellschaftliche Wirklichkeit steuern will, das Leben schwer. Am deutlichsten wird das bei der Gesetzgebung. Anders als die Rechtsprechung, die konkrete, bereits vollzogene Handlungen auf ihre Rechtmäßigkeit prüft, muss die Gesetzgebung eine fast unendliche Vielzahl möglicher Verhaltensweisen antizipieren und diese - lange bevor sie tatsächlich stattgefunden haben - in Erlaubtes und Unerlaubtes unterteilen. In Luhmanns Worten muss sie also alles, was, so wie es ist, sein kann, aber auch anders möglich ist, berücksichtigen.

Wie das im konkreten Fall aussehen kann zeigt der aktuelle Regierungsentwurf für ein "Fleischgesetz" (pdf), das das derzeit geltende "Vieh- und Fleischgesetz" ersetzen soll. Dort heißt es in der Erläuterung der Begriffsbestimmungen:
"Schlachtstätten sind [...] Einrichtungen oder Anlagen, in denen Schlachttiere gewerbsmäßig oder im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung geschlachtet werden. Der Inhaber einer Schlachtstätte kann gleichzeitig Inhaber eines Schlachtbetriebs sein. Eine Schlachtstätte kann auch Teil eines Schlachtbetriebs sein. Möglich ist auch, dass in einer Schlachtstätte ausschließlich Tiere für andere Unternehmen/Schlachtbetriebe geschlachtet werden, und die Schlachtstätte für die Durchführung der Schlachtung ein vorab vertraglich festgelegtes Entgelt erhält. Ankauf der Schlachttiere und Vermarktung der Schlachtkörper verbleiben dann in der Hand des Schlachtbetriebs; die Schlachtstätte stellt lediglich im Wege der Dienstleistungserbringung ihre Einrichtungen und ihre Arbeitskräfte zur Verfügung."
Vielleicht hat der Gesetzgeber damit alles, "was so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist", berücksichtigt. Vielleicht aber auch nicht.

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13.11.07

deutschland kurieren

"Die Gesundheitsreform wirkt. Im ersten Halbjahr 2007 haben die Krankenkassen für Mutter-/Vater-Kind-Kuren über 16 Prozent mehr ausgegeben als bisher."

[Aus einer Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums (siehe auch hier)]

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noch einer, der recht hat

"(T)he tendency of many economists to offer advice based on simple rules of thumb, regardless of context (privatize this, liberalize that), is a derogation rather than a proper application of neoclassical economic principles."
[Dani Rodrik in der Einleitung zu seinem neuen Buch "One Economics, Many Recipies" (hier gibt es die Einleitung als PDF) - via Crooked Timber]

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8.11.07

wo er recht hat, hat er recht

"Es ist überhaupt ein Kennzeichen der marktradikalen Ideologie, dass sie in allen Bereichen, vor allem bei der Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit, auf den empirischen Beweis des Versagens ihrer Rezepte mit der Forderung nach 'noch mehr Markt' reagiert. Diese Strategie der Selbstimmunisierung [...] gegen empirische Widerlegung wird auch als Reaktion auf Misserfolge und Systemwidersprüche im Wissenschaftsbereich bisher erfolgreich angewandt."
[Aus der Abschiedsvorlesung von Bodo Zeuner am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU-Berlin, in der er die derzeit grassierende naive Vorstellung kritisiert, Wissenschaft könne nach denselben Prinzipien organisiert werden wie private Unternehmen. Gleichzeitig ist die Vorlesung auch eine überraschend offene und selbstkritische Dokumentation des Zerfalls der intellektuellen Hegemonie der Linken an den deutschen Universitäten seit Mitte der 80er Jahre. Von Bologna bis zur Exzellenz-Initiative hat die 68er-Professorenschaft brav jeden Beschluss mitgetragen, der das Ideal einer autonomen, frei über Forschung und Lehre bestimmenden Universität ausgehebelt hat.]

Nachtrag: Das Zitat von Bodo Zeuner hat eine rege Diskussion ausgelöst (in den Kommentaren und hier und hier). Allerdings nicht über den Vorwurf der "Selbstimmunisierung" marktorientierter Politikempfehlungen, sondern über die Frage, ob es denn überhaupt "empirische Beweise" des Versagens neoliberaler Programme gibt. Da empirische Beweise in den Sozialwissenschaften nun aber eine ziemlich schwierige Sache sind (mitunter ist es ja sogar nicht ganz einfach, eine Diktatur von einer Demokratie zu unterscheiden), wird über diese Frage wohl noch eine Weile diskutiert werden. Aber immerhin scheint der eine oder andere Diskutant eingesehen zu haben, dass nicht alle Probleme der Welt auf einen Schlag gelöst wären, wenn man nur endlich den großen politischen Schalter von Staat auf Markt stellen würde. Oder umgekehrt.

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7.11.07

schwarze sphinx

Für Guido Westerwelle ist sie "eine Art schwarze Sphinx, die in Rätseln spricht". Das ist natürlich völlig falsch. Denn die Sphinx weiß sehr genau, worauf sie mit ihren Andeutungen hinaus will. Die Bundeskanzlerin hingegen hat offensichtlich große Mühe, ihren eigenen Gedanken zu folgen. In ihrer Rede auf dem Deutschen Steinkohletag (pdf) formulierte sie das so:
"Ich ahne, wovon ich spreche, meine Damen und Herren."


P.S.: Schön ist auch dieser Satz aus derselben Rede: "Ich möchte nicht verschweigen, dass ich an manchem Morgen aufgestanden bin, an dem die ganze Aufgabenvielfalt relativ bergartig auf meinem Gemüt lastete, denn es war vieles zu bedenken und es waren viele unterschiedliche Interessen zusammenzubringen." Das ist Pop! Tocotronic zu ihren besten Zeiten. Ich glaube, ich beginne zu ahnen, was sie da sagen möchte ...

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6.11.07

eindeutig zuzuordnen

Jetzt hat sogar das Statistische Bundesamt das Alleinstellungsmerkmal des Kalenders entdeckt: dass nämlich jeder x-beliebige Tag eindeutig einem bestimmten Monat und sogar einem bestimmten Jahr zugeordnet werden kann. Etwas pseudo-wissenschaftlicher formuliert klingt das dann so:
"Da die Todesursachenstatistik die Sterbefälle nach dem sogenannten Ereignisdatum (= Sterbedatum) auswertet, ist der Sterbetag eindeutig dem jeweiligen Monat zuzuordnen."
[Aus der Publikation "Todesursache Suizid" des Statistschen Bundesamtes (pdf)]

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2.11.07

bürokratieabbau "light"

Der Mensch hat seine Augen vorne und entsprechend ungern blickt er zurück. Das gilt auch für Politikwissenschaftler. Seit es sie gibt untersuchen sie die Entstehung und den Wandel von politischen Programmen, Gesetzen und Institutionen. Die mindestens genauso interessante Frage, was mit Politiken geschieht, wenn sie ihren Dienst getan haben, wird hingegen fast nie gestellt. Politikterminierung ist der blinde Fleck der modernen Politikwissenschaft.

Das könnte sich nun ändern. Seit ein paar Jahren nämlich gehört es zum guten Ton des Regierens (im Fachjargon auch als "Good Governance" bezeichnet), nicht nur neue Vorschriften zu erlassen, sondern von Zeit zu Zeit auch ein paar alte in den Ruhestand zu schicken. Aus PR-Gründen wird dieses eigentlich selbstverständliche Vorgehen als "Bürokratieabbau" oder "bessere Rechtsetzung" bezeichnet. Dabei wird suggeriert, dass der Abbau unnötiger Vorschriften eine enorme Entlastung von Bürgern und Unternehmen mit sich bringen wird.

So weit die wohlklingende Theorie. Wie aber sehen Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung in der Praxis aus? Einen ersten Eindruck gibt das gerade vom Bundestag verabschiedete zweite Rechtsbereinigungsgesetz des Justizministeriums, das laut Pressemitteilung mit einem Schlag rund 200 Gesetze, Verordnungen und Rechtsvorschriften tilgt. Das klingt beeindruckend. Spätestens im nächsten Satz wird der Leser allerdings etwas stutzig. Dort heißt es:
"Betroffen ist vor allem Recht, das noch aus der Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik stammt, und das restliche Besatzungsrecht. Außerdem wird die Bereinigung von Übergangsrecht aus dem Einigungsvertrag fortgesetzt."
Im Klartext heißt das, dass es der Bundesregierung im Jahr 2007 und damit dem fünften Jahr der Initiative Bürokratieabbau gelungen ist, 200 Gesetze zu streichen, deren Adressaten längst nicht mehr existieren und die daher auch niemanden mehr betreffen.
"Aufgehoben werden sollen zum Beispiel das Gesetz betreffend den Schutz des zur Anfertigung von Reichsbanknoten verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung und die Verordnung über die Einführung der Reichshaushaltsordnung in der Justizverwaltung."
Das ist noch nicht mal "Bürokratieabbau light". Entlastet werden allenfalls die Kellerregale des Justizministeriums. Vor allem aber stellt sich die Frage, warum ein Land, in dem das politische Alphabet mit "V" wie Vergangenheitsbewältigung beginnt, mehr als ein halbes Jahrhundert braucht, um zu merken, dass es keine Reichsbank mehr hat und dementsprechend auch nicht mehr den Export von Reichsbanknotenpapier ins feindliche Ausland unterbinden muss.

Interessant ist auch, wie wenig unbürokratisch der staatliche Bürokratieabbau vor sich geht. Der Referentenentwurf des zweiten Rechtsbereinigungsgesetzes (pdf) stammt vom 5. Mai 2006. Wie lange an dem großen Werk gearbeitet wurde wird nicht angegeben. Allerdings deutet die Tatsache, dass der 154-seitige Gesetzesentwurf sogar Schreibfehler in bestehenden Gesetzen korrigiert, auf eine gründliche Bearbeitung durch das behördliche Antibürokratieteam hin. Beschlossen wurde das Gesetz dann im Oktober 2007. Ein solcher mehrjähriger arbeitsintensiver Prozess ist kein unerheblicher Aufwand wenn man bedenkt, dass es hier vor allem darum ging, "vergessenes Recht" wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, um es dann endgültig loszuwerden.

Bürokratieabbau in Deutschland ist also ein bisschen wie Festplatte aufräumen. Warum aber räumt jemand seine Festplatte auf? Um Platz für Neues zu schaffen. So zum Beispiel für die seit langem überfällige Klarstellung, dass in einem einheitlichen Europa nur dort "Wein" draufstehen darf, wo auch tatsächlich nur vergorener Traubensaft drin ist. Aber das ist wieder eine andere Geschichte ...

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musikinstrumente

"Mit welchen [...] Instrumenten soll die Musikwirtschaft gefördert werden?"
[Aus einer kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion (pdf)]

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die gnade der späten geburt

So eine Überschrift wäre bis vor kurzem keinem deutschen Journalisten rausgerutscht:
"Berlin verlangt von Moskau sofortiges Ende des Überflugverbots"

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