31.8.06

the strength of weak ties

Tagesspiegel: Glauben Sie wie Fraktionschef Fritz Kuhn, dass die große Koalition vorzeitig platzt?
Bütikofer: Ich glaube, ihre Schwächen halten sie noch eine Weile zusammen.
[Wenigstens ein origineller Satz in einem sonst wie gewohnt informationsleeren Politiker-Interview]

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30.8.06

just did it

"Er hat schon seit 14 Tagen Fersen-Probleme. Da war er nicht bereit, das Risiko einzugehen, mit Adidas-Schuhen zu trainieren".
[Oliver Bierhoff über Jens Lehmanns Fußballschuhwahl beim Training der DFB-Elf]

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staatsbürgerkunde II

"Wir werden von allen Seiten gemessen an dem, was wir im Wahlkampf gesagt haben. Das ist unfair" [Franz Müntefering].
"Es fehlt an Zustimmung, Fragen werden gestellt, und es herrscht ein hohes Maß an Skepsis" [Angela Merkel].
[Quelle: Focus].

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Der Deutsche liest am liebsten zwischen den Zeilen.

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29.8.06

copy-paste-diplomatie

Dass die Bundesregierung nicht nur ihre Einnahmen erhöhen kann, sondern auch zum Sparen in der Lage ist, zeigen die jüngsten Schreiben der Bundeskanzlerin an die Ministerpräsidenten von Estland, Lettland und Litauen (hier, hier und hier). Gespart werden dort zwar vorerst nur Gedanken und Formulierungen. Aber auch die kosten Zeit und damit bekanntermaßen Geld. Nachdem die Kanzlerin im Frühsommer bereits den podcast hoffähig gemacht hat, zeigt Angela Merkel nun, wie man ein Glückwunschschreiben beliebig oft recyclen kann. Vielleicht ist das ja der Beginn einer kaum mehr für möglich gehaltenen Routinisierung der deutschen Außenbeziehungen. Vielleicht werden die Briefe aber auch nur in die Annalen der schlechten deutschen Manieren eingehen.

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28.8.06

politik als politik

Beobachter des politischen Systems behaupten oft, dass ein nicht unerheblicher Teil der Aktivitäten deutscher Politiker in der Beschäftigung mit sich selbst besteht. Ein kurzer Blick auf die heutigen Mitteilungen des Deutschen Bundestages zeigt: sie haben Recht.

An einem einzigen Sitzungstag antwortet die Bundesregierung auf acht kleine Anfragen der Oppositionsparteien, nimmt vier neue Anfragen entgegen und bezieht zu drei Experten- oder Verbändeempfehlungen schriftlich Stellung. Das Themenspektrum ist enorm. Es beginnt bei der tierschutzfachlichen Bedeutung der Gasbetäubung von Schlachtvieh, streift die "Haltung der Bundesregierung zu einem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster (OVG) über Einschränkungen bei der Betriebsgenehmigung des Düsseldorfer Flughafens und dem sich daraus ergebenden politischen Handlungsbedarf", legt einen kurzen Stop bei der Umsetzung der Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses zum "Girokonto für jedermann" aus dem Jahre 1995 (!!!) ein und windet sich dann bis in die Höhen der Entschädigungszahlungen für die "Wiedergutmachung von NS-Unrecht". Hinzu kommen alte Bekannte wie die Verwendung der Mittel aus den EU-Strukturfonds, die Förderung älterer Menschen, Kapitalbeteiligungen für Unternehmensmitarbeiter, die Ostseeautobahn A 20 und das Transrapidprojekt München.

Nicht dass diese Fragen unwichtig wären. Zumindest einige von ihnen hätten sicherlich eine respektvollere Behandlung als die des routinierten, gleichzeitig aber eigentümlich desinteressierten Schlagabtauschs zwischen Regierung und Parlament verdient. Jenseits dieser einzelnen Streitpunkte veranschaulicht die Form der politischen Debatte aber vor allem eines: Die selbstreferenzielle Struktur unseres politischen Systems. So ist im Instrument der kleinen Anfrage - wie auch in vielen anderen Berichts- und Antwortpflichten - die Beschäftigung der Politik mit sich selbst verfassungsmäßig fest verankert. Dabei läuft die ursprüngliche Absicht einer Gewaltenteilung und gegenseitigen Kontrolle der politischen Institutionen inzwischen weitgehend ins Leere. Nur selten finden die regierungskritischen Anfragen der Oppositionsparteien und die abwiegelnden Regierungsantworten ihren Weg in die Medien und damit in die öffentliche Debatte (und wenn dies tatsächlich mal der Fall sein sollte, dann wäre es sicher auch ohne parlamentarische Anfrage passiert). Stattdessen wird man nur schwer den Eindruck los, dass es sich bei den meisten Anfragen um einen trotzigen Akt der Selbstvergewisserung einer vom Entscheidungsprozess weitgehend ausgeschlossenen Opposition handelt, verbunden mit dem Versuch, den politischen Gegner so viel wie möglich zu ärgern. Um selbstbezügliche Prozesse innerhalb des politischen Systems also. Die pure Beschäftigung der Politik mit sich selbst.

Wie anders ist es zu verstehen, dass die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen von der Regierung Auskunft über die Auswirkungen des Jahrhundertsommers auf den Pegelstand der Flüsse fordert und fragt,
"welche Wasserwege an wie vielen Tagen zwischen 1996 und 2005 eingeschränkt nutzbar waren und wie die Bundesregierung die Potenziale der Binnenschifffahrt angesichts extremer Wetterlagen beurteilt. Auch soll die Regierung den durch Beförderungsausfälle auf Wasserstraßen entstandenen volkswirtschaftlichen Schaden beziffern"
Als Partei, die noch bis vor kurzem Regierungsverantwortung trug, ist der Jahrhundertsommer eines der wenigen Probleme für das sie nicht zumindest eine Teilverantwortung trägt. Ein ideales Thema also für eine kleine parlamentarische Anfrage. Für die Restwelt hingegen ein absurder Nebenkriegsschauplatz.

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25.8.06

ohne worte

  • "Der Deutsche fährt nicht wie andere Menschen. Er fährt, um Recht zu haben." [Kurt Tucholsky]
  • "Fällt der Deutsche auf die Nase, schreibt er eine Dissertation über Bodengerüche." [Hans Kasper]
  • "Die Deutschen haben unter allen Nationen am meisten philosophiert; das kömmt daher, sie haben am wenigsten gelebt. [Ludwig Börne]
  • "Geistige Deutsche werden schwer und spät zum eigentlichen Leben geboren; sie machen dann eine zweite Geburt durch, an der viele sterben." [Hugo von Hofmannsthal]

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24.8.06

deutschland und die welt

Tagesspiegel: Die einzige deutsche Medienpersönlichkeit, die annähernd so bekannt ist wie Sie, ist Sabine Christiansen.

Christiane Amanpour: … Sabine wer?
[Tagesspiegel Interview mit der CNN Journalistin Christiane Amanpour]

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21.8.06

nachtrag zur patriotismusdebatte

War die Wiederentdeckung des schwarz-rot-goldenen Patriotismus vielleicht nur ein banales Missverständnis?

Jedenfalls enthüllt der berühmte "Blick von außen" - in diesem Fall durch die Regale eines ideologisch unverdächtigen portugiesischen Supermarktes - manch blinden Fleck der deutschen Selbstwahrnehmung: Spätestens seit 1832 gehören Deutschland und Schwarz-Rot-Gold zusammen wie Bockwurst und Senf. Wir Deutschen hatten das lediglich eine Zeitlang verdrängt. Und wie bei Verdrängtem üblich wurde es dann irgendwann, als niemand es mehr erwartete, als Neuigkeit wiederentdeckt.

Dem Ausland jedoch war dieses Hin und Her aufgrund mangelnden Interesses an kurzfristigen deutschen Befindlichkeitsschwankungen schlicht und einfach entgangen. In der harten Realität des internationalen Bockwurst-Marketing sind die Selbstzweifel der Deutschen Frage nie wirklich angekommen: Deutschländer Würstchen wurden und werden fast überall auf der Welt mit den Farben der deutschen Flagge beworben, ganz ohne Rücksicht auf die fragile bundesrepublikanische Identität.

Uns Deutschen fehlt in inneren Angelegenheiten meist dieser fremde Blick, der unsere zerfahrene Selbstwahrnehmung durch Weglassen komplexer Details so wunderschön ergänzt. Und das, obwohl gerade wir die Perspektive des neutralen Beobachters in luziden Momenten unserer Geistesgeschichte immer wieder eingefordert haben. So wusste ein Deutscher namens Jean Paul schon vor vielen Jahren, dass man "sich nicht anders ganz sehen kann, als im Auge eines fremden Sehers". Ein anderer Deutscher (Niklas Luhmann) wurde bis zu seinem Tod vor wenigen Jahren nicht müde, dieselbe Botschaft in komplizierteren (und dadurch möglicherweise wirkungsvolleren) Sätzen zu wiederholen: erst der Beobachter eines Beobachters sieht, was der Beobachter selbst nicht sehen kann. Solche Beobachtungen "zweiter Ordnung" sind nötig, um sich selbst zu verstehen.

Und um sie zu ermöglichen, wurde der Urlaub erfunden.

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