1967, auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte, proklamierte
Rudi Dutschke den langen
Marsch durch die Institutionen. Die außerparlamentarische Opposition sollte das politische System infiltrieren und langsam aber sicher von innen heraus verändern. Heute, rund 40 Jahre nach dem revolutionären Marschbefehl, gibt es kaum eine soziale Bewegung, die nicht fest in den Entscheidungszentren der Republik etabliert wäre. Die Institutionen sind erobert. Aber hat sich - abgesehen von den vielen neuen Themen, die heute fest auf der politischen Agenda verankert sind - auch etwas im grundsätzlichen Verhältnis von Staat und Gesellschaft geändert? Ist der Staat schwächer geworden, wie so viele Theoretiker behaupten? Lösen sich seine überalterten Institutionen von innen her auf? Ist das Ende der Hierarchie greifbar?
Nein. Im Gegenteil. Was wir heute erleben ist ein beispielloser Durchmarsch der Institutionen. Nicht nur, dass der lange Marsch durch die Institutionen selbst schon längst zur Institution geworden ist - eine Art routinemäßiger
Bewährungsaufstieg für "neue" soziale Bewegungen und ihre jeweiligen Themen. Auch die "alten" Institutionen haben - nach einer längeren Phase der Verunsicherung - zu ihrem ursprünglichen Selbstbewusstsein zurück gefunden.
Verbote ohne Ende, weitreichende
Eingriffe in die Privatsphäre,
Einschränkungen des Demonstrationsrechts oder das
offensive Infragestellen rechtsstaatlicher Prinzipien bei der Strafverfolgung zeigen, dass die revolutionären Marschierer den Staat allenfalls an der Oberfläche verändert haben. Unterhalb dieser Fassade sind es vor allem sie selbst, die sich verändert haben.
Was wir beobachten ist ein klassischer Sozialisationsprozess: Individuen passen sich ihrem unmittelbaren gesellschaftlichen Umfeld, seinen Werten, Normen und Routinen, an. Soziologen und Politikwissenschaftler dürfte dies nicht besonders verwundern. Das Interessante an unserem Fall ist jedoch, dass der Staat nicht nur die vermeintlichen Reformer in ihr eigenes Feindbild verwandelt hat, sondern dass es ihm dabei auch gleich noch gelungen ist, deren besondere Legitimität auf sich selbst zu übertragen.
Wie in den ungeliebten 50er Jahren regiert der Staat heute wieder von oben herab, bevormundet seine Bürger und stellt auch gerne mal den Zweck über die Mittel. Nur eines hat sich verändert. Im Gegensatz zu früher schämt er sich nicht mehr dafür. Auf geheimnisvolle Art und Weise scheint die Aura des Richtigen und Moralischen, die den neuen sozialen Bewegungen anhaftete, sich während des langen Marsches durch die Institutionen von ihrem ursprünglichen Träger gelöst zu haben und auf die Institutionen übergegangen zu sein. Macht und Moral sind kein Gegensatzpaar mehr, sondern vereinen sich - zumindest in der Selbstwahrnehmung unserer politischen Eliten - in der neuen Form eines autoritären und gleichzeitig wohlwollenden Staates. Dieser Staat, der ja per Definition nur Gutes will, muss sich dann - so scheint es der
eine oder
andere großkoalitionäre Akteur derzeit wohl zu sehen - auch nicht mehr an die bestehenden (und daher notgedrungen veralteten) Gesetze halten. Schließlich ist der Staat ja nun sein einziger legitimer Kritiker - eine eigentümliche Personalunion, die ihn sich selbst gegenüber meistens sehr milde stimmt.
40 Jahre, also ungefähr ein volles Berufsleben nach dem Höhepunkt der 68er Bewegung, steht der Staat stärker und selbstbewusster da als je zuvor. Aus dem revolutionären Marsch durch die Institutionen ist ganz unmerklich ein Durchmarsch der Institutionen geworden. Und im Gegensatz zu 1968 ist im Jahr 2008 kein Akteur in Sicht, der diesem Durchmarsch ein überzeugendes Gegenmodell entgegen halten könnte.
Das Ende der Geschichte kommt von innen. Und es heißt "durchregieren".
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