Nach der 1:4 Niederlage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien wollen deutsche Politiker Bundestrainer Jürgen Klinsmann
vor den Bundestag zitieren. Er soll den Volksvertretern erklären, wie er sicherstellen will, dass Deutschland im Sommer wie geplant die Fußballweltmeisterschaft gewinnt.
"Ich würde mich freuen, wenn der Bundestrainer dem Sportausschuss sagen würde, wie er eine sichere Basis für das Team schaffen will" (Reinhold Hemker, SPD). Immerhin sei die WM ein "nationales Anliegen" (
Miriam Gruß, FDP). Interessanterweise ist diese Einmischung der Politik in sportliche Ereignisse kein Einzelfall, der sich aus einer spontanen Panikreaktion der Parlamentarier auf ein desolates WM-Testspiel erklären ließe. Bereits im Februar 2006 haben die SPD-Bundestagsabgeordneten Steffen Reiche und Peter Danckert einen Gesetzesentwurf zur Verankerung des Sports im Grundgesetz vorgelegt. Wortlaut des geplanten Artikel 20b des Grundgesetzes: "Der Staat schützt und fördert die Kultur und den Spor
t". Als Grund gibt der ehemalige Brandenburgische Sport- und Bildungsminister Reiche an, es sei "gesellschaftlich geboten, dem Staat Aufgaben zuzuweisen, damit er die Bürger vor den Folgen der Globalisierung schützen kann. Eine nationale Verfassung hat nun einmal auch die Aufgabe, relevante Lebensweisen und soziokulturelle Instrumentarien vor dem Ansturm ungefesselter Globalisierungskräfte zu bewahren". Spätestens im Frühjahr 2006 ist die inzwischen schon charakteristische Vollkasko-Mentalität der Deutschen damit endlich auch beim Sport angekommen.
Zwar erscheint es zunächst als einigermaßen absurd, dass die Politik, die kaum in der Lage ist ihre eigentlichen Kernaufgaben zu erfüllen, jetzt auch noch die Verantwortung für das Abschneiden einer nicht gerade überzeugenden deutschen Fußballnationalelf an sich ziehen möchte. Wirklich überraschend ist dieses Anliegen aber nicht. Es spiegelt vielmehr die weitverbreitete Überzeugung wider, dass das politische System immer dann (und nur dann) zuständig ist, wenn andere Teile der Gesellschaft ihre Probleme nicht mehr alleine lösen können. Geht es den Bauern gut, stört Politik nur, bricht aber eine Geflügelpest aus, so muss die Politik unverzüglich "
Entschädigung" zahlen. Laufen die Geschäfte der Banken und Versicherungsgesellschaften gut, dann stört der Staat nur, haben sie sich aber an der Börse verspekuliert, dann muss die Politik einspringen und die
Ersparnisse der kleinen Leute retten. Gelingt es dem Deutschen Fußballbund nicht, ausreichend guten Nachwuchs zu fördern und einen kompetenten (und manchmal auch physich präsenten) Fuballtrainer zu finden, dann muss der Bundestag einspringen. Warum aber lässt sich die Politik darauf ein?
"Als gerufene Kraft, die Verhältnisse in Ordnung zu bringen, wirkt (die Politik) hauptsächlich dadurch, dass sie dem Appellieren an Politik keine Schranken zieht. So reproduziert sie Hoffnungen und Enttäuschungen und lebt davon, dass die Themen, an denen dies geschieht, hinreichend schnell ausgewechselt werden können" (Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation).
Wider besseren Wissens glauben einige deutsche Politiker also offenbar selbst daran, alle ungelösten gesellschaftlichen Probleme lösen zu können. Was aber bedeutet das für den deutschen Fußball und die anstehende Weltmeisterschaft? Was genau kann die Politik tun, damit Deutschland bei der WM eine Chance hat? Um die entfesselten Kräfte der Globalisierung zu zähmen, bleibt dem ums Wohl der deutschen Fußballfans besorgten Parlament nur eine Option: es muss schnellstmöglich ein Gesetz verabschieden, das alle Nationalmannschaften verpflichtet ausschließlich mit deutschen Spielern anzutreten. Nur so kann der Globalisierungsdruck verringert und die deutsche Fußballnationalmannschaft wirksam vor Wettbewerbsnachteilen geschützt werden.
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