29.9.06

leidkultur

"Die hervorstechenden positiven Eigenschaften oder Neigungen, die einst das Deutsche klar definierten, waren Fleiß, Tatkraft, Ordnungssinn, Disziplin, Pünktlichkeit, Gehorsam, Zuverlässigkeit; die eher negativen Seiten der gleichen Medaille waren Militarismus, Kadavergehorsam und Herdentrieb. Heute sind an ihre Stelle Pessimismus, Lethargie und Unzufriedenheit getreten und haben aus den Deutschen ein Volk von Meckerern, Miesmachern und politisch, gesellschaftlich und religiös uninteressierten oder desorientierten Opportunisten gemacht, ein Volk, das alles andere als stolz auf sich ist.

Wenn nun die Deutschen ihr Land nicht mehr lieben, selbst nicht mehr auf ihr Deutschsein stolz sein können, warum, frage ich, sollten nun unsere Zuwanderer ihr neues Land lieben, stolz darauf sein? Logisch, dass sie sich dann eher wieder auf ihre alten, bewährten Bräuche verlassen, als sich mit neuen anzufreunden oder sich gar zu assimilieren, zu integrieren."
[Mario Adorf, Träger des Goldenen Schlitzohrs, in dem von Bundestagspräsident Norbert Lammert herausgegebenen Sammelband „Verfassung. Patriotismus. Leitkultur. Was unsere Gesellschaft zusammenhält“. Via Welt.]

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guter rat ist teuer

Guter Rat ist teuer. Aber nicht überall wo Rat gefragt ist ist auch Geld vorhanden. Dann heißt es kreativ zu sein. Eine in Deutschland bislang noch wenig verbreitete Möglichkeit, kostengünstig zu beraten, findet man ausgerechnet beim Militär. Stefanie Fischer, die virtuelle Wehrdienstberaterin der Bundeswehr, informiert im Internet über Chancen und Risiken einer Karriere beim Bund. La Deutsche Vita sprach mit Frau Fischer über den Kongo-Einsatz der Bundeswehr.

La Deutsche Vita: "Guten Tag Frau Fischer."

Stephanie Fischer: "Es freut mich, Sie hier begrüßen zu dürfen! Wie soll ich Sie ansprechen?"

LDV: "Deutsche Vita."

Fischer: "Ich freue mich über Ihren Besuch, Deutsche Vita. Mir fallen spontan viele Themen ein, über die wir uns ziemlich lange unterhalten könnten - über den Grundwehrdienst oder Studium und Unis, zum Beispiel."

LDV: "Ich würde lieber mit Ihnen über den Kongo-Einsatz der Bundeswehr sprechen."

Fischer: "Den genauen Auftrag der Bundeswehr können Sie auf der Website der Bundeswehr finden. Ganz allgemein ist der Auftrag der Bundeswehr der Schutz der Bundesrepublik Deutschland und seiner Einwohner."

LDV: "Im Kongo?"

Fischer: "Wenn Sie mehr über Afrika wissen wollen, sollten Sie doch besser zu einem Reiseveranstalter gehen."

LDV: "Frau Fischer, ich danke Ihnen für das Gespräch."

Fischer: " Ich habe zu danken. Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu sprechen.

[P.S.: Die freundliche Wehrdienstberaterin kann ihre Antworten geringfügig variieren. Bei einem zweiten Durchlauf antwortete sie auf die Frage "Im Kongo?" mit "In Afrika gibt es sehr viele interessante Länder".]

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weil das ja klar ist

Geburtstagsgruß von Jürgen Trittin an Edmund Stoiber:
"Wenn Sie von München nach Berlin in 65 Jahren, dann starten Sie im Grunde genommen, starten Sie Ihre Bundeskarriere, 65 Jahre, schauen Sie sich mal die großen Präsidenten an in London oder sonst wo, Charles de Gaulle in Frankreich oder in äh Rom, dann werden Sie feststellen, dass 65 Jahre Sie jederzeit locker in München brauchen um das Kanzleramt zu finden. Wenn Sie vom Wirtschaftsministerium, äh der Staatkanzlei einsteigen, - das bedeutet natürlich, dass im Grunde genommen das Kanzleramt näher an Bayern heranwächst, weil das ja klar ist, weil alle Linien in Bayern zusammenlaufen. Lieber Herr Stoiber: Herzlichen Glückwunsch zum 65.Geburtstag."
[Financial Times Deutschland, via Indiskretion Ehrensache]

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27.9.06

erfolg

"Lob für Schäuble - erste Konflikte zwischen den Muslimen"
[Spiegel Online Überschrift zum Auftakt der "Islamkonferenz"]

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quotenpolitik

"Deutsche Außenpolitik hat etwas von Einschaltquote: Wir senden nur, was gefällt" [Thomas Brussig, Zeit online].

"Vielleicht schaffen wir, etwas aufzuschreiben, was nicht strittig ist" [Bundeskanzlerin Merkel zu den Chancen, unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die EU-Verfassung voranzubringen].

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die grenzen der globalisierung

Globalisierungstheoretiker gehen davon aus, dass die zunehmende internationale Verflechtung zu einer weltweiten Angleichung gesellschaftlicher, kultureller und politischer Werte und Einstellungen führt. Zumindest sollte das für Europa, Asien und Amerika - die drei großen Zentren der industrialisierten Welt - zutreffen. Erst durch die Globalisierung wurde Raider zu Twix.

Dass dies jedoch nicht zwangsläufig so sein muss und dass gerade das Epizentrum der Globalisierung, die USA, sich den Zwängen der Globalisierung erfolgreich entziehen können, zeigt ein Blick auf die aktuellen regionalen Titelblätter des Nachrichtenmagazins Newsweek:










Und hier die Titelblätter vor zwei Wochen:










[via Daniel Drezner und Crooked Timber]

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26.9.06

sein und sonnenschein

Der Bund der Steuerzahler ist eine typisch deutsche Institution. 1949 gegründet, kämpft er seit mehr als einem halben Jahrhundert aufrichtig, gewissenhaft und unerschütterlich gegen die öffentliche Verschwendung. Nicht ganz frei von Selbstgerechtigkeit bezeichnet er sich selbst als das "Finanzgewissen der Nation". Vielleicht ist er aber auch nur so eine Art altmodischer Watchblog der öffentlichen Haushalte. Was der Bildblog für die Bild, ist der BdSt - so die sparsame Abkürzung des eingetragenen Vereins - für Bund, Länder und Gemeinden.

Jedes Jahr im Herbst veröffentlicht er sein "Schwarzbuch" mit dem Titel "Die öffentliche Verschwendung". In einer eigentümlichen Mischung aus Empörung und Ironie präsentiert dieser umgekehrte Ikea-Katalog - Motto: "Regierst Du noch oder sparst Du schon?" - die schönsten Fälle der Vergeudung von Steuergeldern. Seit heute ist die 34. Ausgabe dieser Endlosserie erhältlich [pdf 1,7 mb]. Neben den üblichen und eher langweiligen Verkehrsprojekten (Brücken ohne Verkehrsanbindung, zu enge Kreisverkehre, Buswendekreise ohne Busse) finden sich hier auch wirkliche Kuriositäten, die einige der ureigensten deutschen Eigenarten in hellstes Scheinwerferlicht tauchen. Besonders bezeichnend ist dabei ein auf rund 60 Jahre angelegtes und vom Bund und dem Saarland finanziertes Projekt zur Ergründung der Wurzeln der italienischen Sprache:
"Der Bund und das Saarland sind hoch verschuldet. Aber beide meinen, dass die Herkunft italienischer Wörter einmal gründlich untersucht werden muss. Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts läuft eine millionenschwere Forschungsförderung, die noch bis zum Jahre 2033 fortgesetzt werden soll. Ziel ist ein etymologisches Wörterbuch der italienischen Sprache bestehend aus über 30 Bänden. Bisher sind zehn Bände erschienen. In diesem Jahr haben der Bund und das Saarland insgesamt 310.000 Euro bereit gestellt. Zur Freude der Forscher an der Akademie der Wissenschaften in Mainz und der Universität des Saarlandes. Und auch zur Freude des Bundesbildungsministeriums, das dadurch das internationale Ansehen des Wissenschaftsstandorts Deutschland gestärkt sieht".
Hier treffen gleich zwei tiefverwurzelte deutsche Eigenschaften aufeinander. Die von Goethe bis zur rot-grünen Toskana-Fraktion reichende Italien-Sehnsucht und die vor allem in Akademikermilieus grassierende Zwangsvorstellung, allen Dingen tief auf den Grund gehen zu müssen. Sein und Sonnenschein als akademisches Programm. Schön, dass das so ausgiebig gefördert wird.


Nachtrag: Nachdem alle möglichen Medien die Pressemitteilung des Bundes der Steuerzahler unhinterfragt abgedruckt haben, die FAZ die Kosten des etymologischen Wörterbuchs der italienischen Sprache sogar freihändig von 310.000 auf 310 Millionen Euro aufgestockt hat (inzwischen korrigiert), macht sich jetzt erstmals eine Zeitung die Mühe, nachzufragen, wie denn die Zahlen des BdSt genau zustande kommen:
"Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die alljährliche Verschwendungs-Horrorshow als ziemlich populistisch, recht ungenau und reichlich selbstreferenziell. Das fängt schon bei der Gesamtsumme des Schadens an, die den Steuerzahlern nach Angaben des Steuerzahlerbundes durch hirnlose Politiker und Beamte entsteht: Seit Jahren nennt Däke stets dieselbe Summe von 30 Milliarden Euro – ohne zu erklären, wo sie eigentlich herkommt. Um das zu verschleiern, fügte er auch an diesem Dienstag hinzu, die Summe habe sich nicht geändert und entspreche wieder fünf Prozent des Staatshaushalts. Aber wie soll sie sich auch ändern, nach oben oder nach unten, wenn Däkes Verband sie selber frei herleitet? Denn die in dem Schwarzbuch aufgelisteten Fälle, die ihm angeblich "durch Anrufe oder Hinweise aus der Bevölkerung" zugetragen werden, addieren sich regelmäßig auf eine weit geringere Summe. Um die gewaltige Lücke zu schließen, beruft sich der Steuerzahler-Verein auf Zahlen des Bundesrechnungshofs, wonach fünf bis zehn Prozent des jährlichen Steueraufkommens nicht zielgerichtet verwendet würden. Nur dumm, dass der Rechnungshof bestreitet, jemals eine solche generelle Schätzung abgegeben zu haben. Macht nichts, dann müssen für Däke eben die Angaben eines Landesrechnungshofs von Ende der 80er Jahre (!) herhalten, um alljährlich durch seinen mirakulösen Fünf-Prozent-Dreisatz auf die besagten 30 Milliarden Euro zu kommen" [Zeit online].

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25.9.06

was ist eigentlich führung?

Führung ist weiblich. Jedenfalls was das grammatische Geschlecht angeht. Das biologische Geschlecht der Führung ist heutzutage jedoch männlicher als je zuvor. Führung ist in Deutschland das, was Männer unter Führung verstehen. Das gilt auch nach dem Amtsantritt der ersten deutschen Bundeskanzlerin.

Ihr erstes Amtsjahr ist noch nicht abgelaufen, da tönt die Kritik an ihrer fehlenden Durchsetzungsfähigkeit bereits lauter durch den politischen Raum, als alle inhaltlichen Debatten zusammen. Merkel soll auf den Tisch hauen, ein Machtwort sprechen, kurz: führen. Zwar hat jeder Kritiker dabei seine ganz eigene Vorstellung davon, wie das fehlende Machtwort aussehen soll; aber genau dafür - um diese Interessenvielfalt zu ordnen - gibt es ja Führung: Die Katze beißt sich in den Schwanz und alle finden das ganz normal.

Nur Google lässt sich von der ganzen Debatte nicht irritieren. Gibt man den Suchbegriff "Merkel Führungsschwäche" ein fragt die Suchmaschine wider besseren Wissens zurück:

Meinten Sie: "merkel verdauungsschwäche"

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phantomschmerzen

"Noch bis vor kurzem waren Eliten nicht viel mehr als ein Phantomschmerz nach dem Untergang der Adelsgesellschaften" [Dirk Baecker].

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ungleichzeitigkeit

Während der Musikbranche auf der Popkomm klar geworden ist, dass der musikalische Mainstream im ziellosen Datenfluss des Internet langsam aber sicher zu einem Nebengerinnsel verkümmert, die Nische also zur Norm wird, ist die Politik weiterhin überzeugt, dass die sonst überall zu beobachtende Atomisierung der Google-Ära ausgerechnet vor ihr Halt machen wird. Je höher die Stimmengewinne der "Anderen", je erfolgreicher die ehemaligen Nischenparteien, je niedriger die Wahlbeteiligung und je deutlicher der Bedeutungsverlust von CDU und SPD, desto eindringlicher beschwören deren Politiker ihre längst verlorene Rolle als "Volkspartei".

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22.9.06

bezeichnend

Selbstironie - also die spielerisch dahingeworfene Kritik am eigenen Standpunkt - ist eine positive Eigenschaft. Selbst bei Politikern. Eine nicht geringe Portion davon zeigt jetzt die Bundesregierung in ihrer Einladung zu den Feierlichkeiten am Tag der Deutschen Einheit. In einem riesigen Info-Zelt soll "über die aktuellen Vorhaben der Bundesregierung" informiert werden. Dazu gibt es dann das passende Beiprogramm:
"Ein Zauberer wird an beiden Tagen mit faszinierenden Illusionen zur Unterhaltung beitragen".

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21.9.06

stop making sense

Der Politologe Franz Walter erklärt Spiegel-Lesern das Schwächeln unserer Volksparteien. Schuld daran, dass CDU und SPD zusammen derzeit weniger Prozente haben als die CSU in Bayern, sei ein "sinnentleerter Pragmatismus" in Politik und Parteien.
"Die Sicherheit von Sinn und Ziel ist verloren gegangen. Doch Sinn ist neben dem Drang nach Macht der primäre Treibstoff für den politischen Einsatz. Sinn ist die elementare Quelle für Engagement, Anstrengung, Leistung, Altruismus, Leidensfähigkeit, Solidarität, Ehrgeiz, Kreativität. Das alles wissen wir hinlänglich aus der Religionsgeschichte, der Philosophie, der modernen psychologischen Forschung".
Den klassischen Parteien konnte das natürlich nicht passieren, denn sie "hatten den Mörtel des die Gegenwart weit transzendentierenden Sinns" - was immer das und der gesamte Rest des Artikels auch heißen mag. Diesen Mörtel jedenfalls verrührt Walter dann im Rest seines Artikels mit ein paar wohlklingenden Allgemeinplätzen der Politiker- und Parteienschelte (der "Siegeszug der modernen Mediengesellschaft", das Verschwinden profilierter "Parteiintellektuellen", der "große Ausverkauf des programmatischen Denkens"), lehnt sich dann genüsslich in seinem Schreibtischstuhl zurück und sieht zu "wie Politik und Parteien implodieren".

Nachtrag: Der Spiegel-Text ist übrigens Teil eines längeren Aufsatzes mit dem Titel "German Desease", den Walter schon vor einem Jahr bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht hat. Kein Wunder, dass der "Mörtel des die Gegenwart weit transzendierenden Sinns" in der Zwischenzeit hart geworden ist und nicht mal mehr die Fugen der implodierenden deutschen Politik transzendiert.

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pferderennen

Was unterscheidet einen Wahlkampf von einem Pferderennen? ... Nicht mehr viel. So jedenfalls sehen es jedenfalls die deutschen Fernsehanstalten.

Ihre Berichterstattung zur Bundestagswahl 2005 hat der Kommunikationswissenschaftler Ralf Hohlfeld untersucht. Das Ergebnis seiner Studie:
"Die politische Berichterstattung wird immer unpolitischer. Selbst die genuine Wahlkampfberichterstattung entpolitisiert sich. [...] Politische Sachthemen werden immer weiter marginalisiert. Dagegen dominieren politische Prozessthemen [...] die Berichterstattung. Es geht [...] um den Kampf, um das Rennen, um die Konkurrenzsituation. Dafür haben die US-Amerikaner den Begriff Horse-Race-Journalism geprägt. Wahlkampagne, Wahlwerbung oder der Wahlkampfverlauf mit seinen Stimmungswechseln und dem dialektischen Rhythmus von Angriff, Verteidigung und Gegenangriff besitzen im journalistischen Auswahlprozess hohen Nachrichtenwert. [...] Deshalb lassen sie sich so gut im Stile der Sportberichterstattung "framen", d.h. vom Regelsatz des Wettkampfs ungewissen Ausgangs rahmen. Der politische Wettbewerb der Parteien ist als selbstreferentielles Thema im Vergleich zu Politikinhalten so dominant, weil eine laufende Berichterstattung über Wahlkampfaktivitäten, Umfragen, neue Wahlkampfaktivitäten und Thematisierungsversuche für den politischen Journalisten im Wahlkampftross schnell, preisgünstig und ohne großen Rechercheaufwand neue Nachrichten liefert.

Fast drei Viertel der Berichterstattung zum Bundestagswahlkampf 2005 bestand aus solchen politics issues, handelte also von Themen wie innerparteilichen Konflikten, Kampagnen, Wahlkampfstrategien, Wahlumfragen, Prognosen, Herabsetzungsbestrebungen gegenüber dem politischen Gegner und Kandidatenprofilen. [...]

Es ist zweifelsfrei einfacher, mit Zahlen zu hantieren, als die konkurrierenden Modelle der Sozialversicherungssysteme zu diskutieren. [...] Insofern sind "Bet & win"-Berichterstattung und Horse-Race-Journalismus als zeitgemäße Strategie wider die Tyrannei der komplizierten Entscheidungszwänge zu verstehen".
Wahlen als Sportereignis. Da wollen die Medien natürlich auch mitspielen. Immer öfter präsentieren sie sich deshalb selbst als aktive Teilnehmer im Parteienwettbewerb:
"Journalisten fragen Journalisten - dieser Trend ist zwar nicht neu, aber dennoch spielten Journalisten aus allen Medienbereichen als Interpreten des Wahlkampfs 2005 in Deutschland im Fernsehen eine zunehmend große Rolle. [...] Über den gesamten Zeitraum vom 24. Mai (Ankündigung von Neuwahlen) bis zum Wahltag am 19. September 2005 betrachtet, traten in der Wahlkampfberichterstattung Journalisten 95-mal in Gastrollen als Experten auf. Sie waren in Wahlsendungen, insbesondere in politischen Talkshows, zwar als Experten eingeladen, aber viele nutzten diese Foren, um Politik zu machen und um dezidierte Wahlempfehlungen auszusprechen: Dieses Phänomen kulminierte stark in der Person von Hans-Ulrich Jörges ('Stern'), der sechs Auftritte in politischen Wahlsendungen hatte - drei davon unmittelbar vor der Wahl - und dabei vehement gegen Gerhard Schröder als Kanzler und Rotgrün als Regierung eintrat".
Am Ende ähnelt dann sogar die Form der Wahlberichterstattung der des Sportjournalismus: Vor und nach dem "Spiel" wird den Gegnern reihum ein und dieselbe Frage gestellt: "Was sagen Sie zu X?" "Wie beurteilen Sie Y?".
"Das Ergebnis des zwanghaften Reihumbefragens sind ritualisierte und inhaltsfreie Sound-Bits von rund zehn Sekunden Länge, die gemäß der KISS-Logik (KEEP IT SHORT and SIMPLE) von Politikern abgesondert und in die Beiträge hineingeschnitten werden".
"Keep it short and simple". Jede Ähnlichkeit mit Jürgen Klinsmanns fußballerischer Devise "Ball annehmen, passen, bum, bum" ist reiner Zufall und frei erfunden.

Nachtrag: Auch der Politologe Claus Leggewie sieht zuviel Fern. In einem Sammelband mit dem Titel "Wettbewerbsspiele - Die Inszenierung von Sport und Politik in den Medien" untersucht er zusammen mit dem Sportwissenschaftler Jürgen Schwier die Gemeinsamkeiten von politischem und Sportjournalismus. Im Klappentext heißt es:
"Politik und Sport sind die Themen schlechthin in den Massenmedien. Ob Bundestagswahl oder Fußball-WM – beide Ereignisse beherrschen den Blätterwald und die Fernsehbilder über Wochen. Sie stellen beide einen Wettbewerb dar, der jeweils mit ähnlichen Mitteln in Szene gesetzt wird – als Drama und Spektakel, mit den Mitteln der Emotionalisierung und Personalisierung. In diesem Band werden Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen den massenmedialen Inszenierungen von Sport und Politik erörtert – und man staunt darüber, wie sich die Bilder gleichen".

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19.9.06

triebwähler

Frank Schirrmacher analysiert in der FAZ die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und stößt dabei auf einen bisher unbekannten Wählertyp: den Triebwähler. Etwas verkürzt geht Schirrmachers Analyse so: Der Triebwähler ist männlich und wählt die NPD weil er keine Frau abbekommen hat.

Etwas detaillierter sieht das so aus:
"Seit 1995 haben vor allem junge Frauen die neuen Bundesländer verlassen - unter den 1,5 Millionen Menschen, die in den Westen gingen, waren überdurchschnittlich viele 18- bis 29jährige Frauen. 'Die zurückbleibenden Männer', so das Berlin Institut für Bevölkerungsentwicklung, 'sind häufig gering qualifziert und arbeitslos. Dieser Umstand beschleunigt den Bevölkerungsschwund noch. Denn Männer am sozial unteren Ende des Heiratsmarktes finden, statistisch gesehen, selten eine Partnerin zur Familiengründung'.

(...)
So hat sich eine Lage ergeben, die nicht auf Mecklenburg-Vorpommern beschränkt bleiben wird: daß in unzähligen Dörfern junge arbeitslose Männer mit zurückgebliebenen alten Menschen zusammenleben, nicht nur ohne Aussicht auf Arbeit, sondern auch ohne Aussicht auf eine Partnerin. Seit Klaus Theweleit die 'Männerphantasien' der Freikorpsmänner der Weimarer Republik analysiert hat, wissen wir, wie sehr die Attraktivität männerbündischer Lebensformen durch die Abwesenheit von Partnerinnen (...) steigt. Aggressivität, Gewaltbereitschaft, Mitleidlosigkeit sind vorherrschende Kennzeichen dieser Milieus, soziale Auffälligkeiten, bei denen unsere Institutionen versagen, weil sie sich auch nicht mehr durch wirtschaftliche Alimentierung regulieren lassen. Je mehr heiratsfähige Männer aus sozialen Gründen daran gehindert werden zu heiraten, weil es die Frauen dazu entweder nicht gibt oder von denen, die es gibt, keine die Zurückgebliebenen haben will, desto mehr Testosteron zirkuliert.

(...)
Junge Männer ohne Zukunft sind eines, junge Männer ohne Zukunft und ohne die Chance zur festen Bindung etwas anderes; und junge chancenlosen Männer, ohne die Chance zur Heirat, ohne Arbeit und als Teil alternder Gemeinschaften sind schlichtweg explosiv.
Nach den altbekannten Stammwählern, Wechselwählern, Protestwählern und Nichtwählern betritt nun also urplötzlich der Triebwähler die politische Bühne. Die Ärzte (die Band) hatten es ja schon vor Jahren geahnt, Methusalem Schirrmacher hat dem Phänomen einen Namen gegeben. Mal sehen, wie lange es nun dauert bis die Politikwissenschaft eine vollständige Theorie des Triebwählers nachliefert.

Nachtrag: Gerade hat auch SpOn den Artikel übernommen.

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gammelflaggen

"Berlin (jwd) - Deutschlandflaggen waren der große Renner der Fußball-WM. Für einige Wochen hüllte sich das ganze Land in Schwarz-Rot-Gold. Insgesamt eine Million Plastik- und Polyesterfähnchen gingen alleine in unserem Land über den Ladentisch. Doch ebenso schnell wie die Fahnen auftauchten, waren sie auch wieder verschwunden. "Aus den Augen, aus dem Sinn", dachten die meisten. Nur den Umweltschützern von der westdeutschen Verbraucherzentrale genügte das nicht. Beim renommierten Zentrum für Abfall- und Recyclingforschung in Müllheim a.d.R. gaben sie eine "Studie über den Verbleib der Deutschlandflaggen nach Abschluss der FiFaFußballweltmeisterschaft" in Auftrag. Die Ergebnisse der Studie, die gestern der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, sind schockierend. Weniger als ein Drittel der Deutschlandflaggen wurde im Anschluss an die WM ordnungsgemäß in der Restmülltonne entsorgt. Der Rest gammelt langsam vor sich hin. An grauen Häuserfassaden und verrostenden Fernsehantennen, in Straßengräben und leeren Blumenkästen, in Schubladen und verstaubten Kellerregalen, ja sogar in Werkstätten und Kühlhäusern sind die verblassenden Stofffetzen anzutreffen und stellen eine ernsthafte Gefahr für Mensch und Umwelt dar. "Wir haben es mit einer tickenden Zeitbombe zu tun", so der Autor der Studie, Dr. A.B. Fall. Die Billigflaggen seien aus minderwertigem Material hergestellt und mit einer Vielzahl von hochgiftigen Substanzen belastet. Dies könne einerseits zu einem erhöhten Eintrag von Schwermetallen, Formaldehyd, Phenolen, Phtalaten sowie kanzerogenen Farbstoffen in die Umwelt führen. Andererseits sei überhaupt noch nicht abzusehen, welche Auswirkungen die ständige Konfrontation mit den schnell verblassenden Deutschlandfarben auf die immer noch fragile nationale Identität haben wird. Der gerade wiederentdeckte deutsche Patriotismus, so der Experte, laufe Gefahr, "in einem Meer von Gammelflaggen unterzugehen". Angesichts dieser doppelten Bedrohung sei es keinesfalls übertrieben, von einem handfesten Gammelflaggenskandal zu sprechen. In einem eindringlichen Appell warnte Dr. Fall die Bundesregierung vor Untätigkeit. "Das Zeitfenster für eine Abwendung der Katastrophe schließt sich. Das feuchte Herbstwetter der nächsten Monate wird eine enorme Beschleunigung des Zersetzungsprozesses mit sich bringen". Wenn bis Anfang Oktober nicht gehandelt werde, dann müsse die Geschichte der deutschen Fußball Weltmeisterschaft vielleicht bald neu geschrieben werden."

[Quelle: La Deutsche Vita - Zeitung für Deutschlandfragen]

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18.9.06

hausaufgaben

"Deutschland muss seine Hausaufgaben machen."
[Wolfgang Gerhard, FDP, zur deutschen Außenpolitik]

"Jeder muss seine Hausaufgaben machen."
[Bärbel Höhn, Bündnis '90/Die Grünen, zum Gammelfleischskandal]

"Wir müssen endlich die Reform-Hausaufgaben machen, über die wir schon so lange reden."
[Alt-Bundespräsident Roman Herzog in seiner "Ruck-Rede"]


"Machen wir uns nichts vor: Deutschland muss seine Hausaufgaben noch machen."
[Ministerpräsident Christian Wulff, CDU, zum Niedersächsischen Kombi-Lohn]


"Wir müssen unsere Hausaufgaben selber machen."
[Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, SPD, im Tagesspiegel]


"Deutschland macht seine Hausaufgaben."
[Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, zur Beratung des Haushalts 2007]


...

"Hausaufgaben werden in der Schule (vom Lehrer) als Ergänzung des Unterrichts aufgegeben und sollen in der Regel zu Hause erledigt werden."
[Wikipedia]

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15.9.06

lebenszeichen

Suchanfragen sind geheime Lebenszeichen aus einer fremden Welt. Erst der Besucherzähler macht sie für uns sichtbar. Wie eine falsch zugestellte Postkarte eröffnen sie uns einen kurzen Blick in das Leben eines unbekannten Menschen. Sie suggerieren eine Verbindung, die in Wirklichkeit gar nicht besteht. Und sie werfen Fragen auf: Wer ist diese Person? Was sucht sie? Was treibt sie an? Wie sieht sie aus?

Das ist der Stoff, aus dem Paul Auster normalerweise seine Romane strickt: Ein Mann sitzt spätabends am Computer, ruft seine Statistiken auf und sieht eine Suchanfrage, die sein gesamtes Leben verändert. So sehr er sich auch bemüht, die Frage geht ihm nicht aus dem Kopf. Je mehr er darüber nachdenkt, desto sicherer ist er, dass die Frage ganz alleine ihm gilt. Irgendjemand wusste, dass die Frage bei ihm ankommen würde. Irgendjemand wollte mit ihm Kontakt aufnehmen. Er musste wissen, wer das war. Er musste die unbekannte Person suchen. 353 Seiten, Paperback.

Ganz so fesselnd ist die Wirklichkeit nicht. Aber ein wenig Verwunderung löst die eine oder andere Suchanfrage, die urplötzlich in der eigenen Besucherstatistik auftaucht, dann doch aus.
[wann haben die deutschen angefangen urlaub zu machen?]
[welche nation hat die meisten frauen?]
[wer treten will muß sich treten lassen]
[bismarck personaldienstleister]
[bum bum bedeutung]
Was diese Anfragen bedeuten und ob die Suchenden gefunden haben, wonach sie suchten, bleibt ihr Geheimnis. Auch eine Suchanfrage bei Google hilft da nicht weiter.

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14.9.06

schlagzeile der woche

anything goes

Mit ein wenig Verspätung ist die Postmoderne auch in den deutschen Schulen und Kindergärten angekommen. Ihr Erkennungszeichen ist der inflationäre Gebrauch der Worte "pädagogisches Konzept". Jede Tagesmutter und jeder Schuldirektor hat heute eins und dennoch gleicht kein pädagogisches Konzept dem anderen. Jedes einzelne ist eine einzigartige Mischung aus lernpsychologischem und erziehungswissenschaftlichem Lehrbuchwissen, zufällig auf den Schreibtisch geflatterten Fachartikeln, hausbackener Kritik am bildungspolitischen Status Quo, freihändiger PISA-Interpretation, dem einen oder anderen Artikel der GEW-Zeitschrift Erziehung und Wissenschaft und viel persönlicher Erfahrung. Kurz: ein postmodernes Patchwork pädagogischer Versatzstücke.

Die "Erarbeitung" solcher pädagogischer Konzepte nimmt in unseren Bildungseinrichtungen immer mehr Zeit in Anspruch. Ihre Umsetzung hingegen beschränkt sich meist auf holprige Ansprachen auf Elternabenden und bunte Flugblätter und Broschüren mit der ebenso selbstzufriedenen wie nichtssagenden Überschrift: "Unser pädagogisches Konzept". Die zentrale Botschaft lautet: "Es ist geschafft". Was geschafft sein soll, das weiß allerdings niemand so genau. Hauptsache konzeptionell. Hauptsache anders als zuvor.

Dieser Zwang zur ständigen Neuerfindung des pädagogischen Rads, gepaart mit einer zunehmenden Beliebigkeit der Inhalte, treibt immer skurrilere Blüten. Sein neuestes Produkt ist die Stahlhelm-Pädagogik des ehemaligen Leiters des Elite-Internats Salem, Bernhard Bueb, der mit seinem Loblied auf die altdeutschen Tugenden Gehorsam, Disziplin, Verzicht, Ordnungssinn und Standhaftigkeit erfolgreich auf den derzeitigen Trend zum neuen Konservativismus aufspringt. Jedenfalls werden seine fragwürdigen Thesen begierig von der gesamten Medien landschaft aufgesogen - von der Bild-Zeitung ebenso wie von ihrem bildungsbürgerlichen Pendant, dem Spiegel. Dort finden sich dann unter anderem die folgenden bahnbrechenden pädagogischen Einsichten:
"Wir müssen wieder zu der alten Wahrheit zurückkehren, dass nur der den Weg zur Freiheit erfolgreich beschreitet, der bereit ist, sich unterzuordnen, Verzicht zu üben und allmählich zu Selbstdisziplin und zu sich selbst zu finden. Damit schafft er die Voraussetzung für sein Glück".
"Ziel der Erziehung zum Arbeiten muss ein Grad der Gewöhnung sein, der die Arbeit zur zweiten Natur werden lässt".
"Gehorsam und Furcht vor Strafe sollten wir nicht länger aus der Erziehung verbannen".
"Der lange Arm Hitlers hindert uns noch immer daran, Disziplin selbstverständlich einzufordern. Doch die Zukunft Deutschlands hängt von der Rückkehr zur Disziplin ab".
"Es ist ein großes Problem unserer Gesellschaft, dass viel zu viele Jugendliche viel zu früh Verführungen ausgesetzt sind. Nur wenige Eltern schaffen es, ihre Kinder dagegen zu wappnen. Deshalb bin ich dafür, die Urinkontrolle für alle Jugendlichen einzuführen. Die Konsequenz muss nicht gleich die Todesstrafe sein (...). Doch die Erfahrung spricht für den Erfolg harter Strafen".
Ein Merkmal der pädagogischen Postmoderne ist die nahezu beliebige Kombinierbarkeit unterschiedlichster, widersprüchlicher, eigentlich inkompatibler Ideen und Vorstellungen in einem großen und bunten konzeptionellen Flickenteppich. Da war es nur eine Frage der Zeit bis jemand in aller Öffentlichkeit die "früher-war-alles-besser" Litanei anstimmen würde. Hauptsache anders. Hauptsache konzeptionell. Und solange eine Nachricht wert, bis in wenigen Tagen dann die nächste Sau durchs pädagogische Dorf getrieben wird.

Nachtrag: Die Möglichkeit zum uneingeschränkten Lob des Gehorsams lässt sich natürlich auch die FAZ nicht entgehen: "Gehorsam verlor in den letzten vierzig Jahren jedes Ansehen in der Pädagogik, aber nicht in der Armee, nicht in den Rettungsdiensten und nicht im Sport".

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12.9.06

kühe aufblasen

"Alles in allem gleicht der Wohlfahrtsstaat dem Versuch, die Kühe aufzublasen, um mehr Milch zu bekommen".
[Niklas Luhmann, Der Staat des politischen Systems]

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wortwörtlich

Die Sprache beschreibt nicht nur die Wirklichkeit, sie hat sie längst ersetzt. Erst durch Worte wird die Wirklichkeit wirklich erfahrbar, vorher ist sie nur ein vages Gefühl.

Wem das zu abstrakt ist, der werfe einen Blick auf das neue Wort "Kanzlerinnenhaushalt".

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11.9.06

"standort deutschland" revisited

"Die Überschätzung der Frage, wo man sich befinde, stammt aus der Hordenzeit, wo man sich Futterplätze merken mußte."
[Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften]

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10.9.06

motto, ergo sum

Mottos sind die Untertitel einer sinnentleerten Welt.

[Der von der Bundesregierung ausgerufene "Tag des offenen Denkmals" steht in diesem Jahr unter dem Motto "Rasen, Rosen und Rabatten".]

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9.9.06

typisch deutsch

Selbstgereimte Gedichte zum Dienstjubiläum.

Und wer's nicht selbst machen möchte kauft sich eine von 400 Musterreden.

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8.9.06

ceci n'est pas une pipe

Worte und Taten liegen in der Politik nicht selten weit auseinander. Die aktuelle Debatte um den Bundeshaushalt 2007 ist da keine Ausnahme. So lautet das brandneue haushaltspolitische Motto der Bundesregierung:
"Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen, deshalb sanieren wir den Haushalt"
In der finanzpolitischen Realität sieht das dann jedoch so aus:
"Im Regierungsentwurf 2007 sind Ausgaben in Höhe von 267,6 Milliarden Euro veranschlagt. Das sind rund 2,3 Prozent mehr als im Haushalt 2006 vorgesehen sind" [Regierung Online].
Haushaltssanierung durch Mehrausgaben, Sparen mittels Steuererhöhung. Wie geht das zusammen? Die Psychologen kennen dafür den Ausdruck der kognitiven Dissonanz. Sie bezeichnet eine chronische Diskrepanz zwischen den eigenen Überzeugungen und den tatsächlichen Gegebenheiten. Kognitive Dissonanz auszuhalten scheint eine der wichtigsten Berufsvoraussetzungen für Politiker zu sein. Erlernt wird diese Eigenschaft in jahrelanger Partei- und Gremienarbeit. Quereinsteigern fehlt sie in der Regel, weshalb sie in der Politik nicht sonderlich beliebt sind und auch selten lange im Amt bleiben.

Aber es gibt noch eine zweite, radikalere Erklärung für das quasi-surrealistische Theaterspiel, das tagtäglich auf der politischen Bühne abläuft. Schon vor mehr als zwanzig Jahren hat der französische Soziologe und Philosoph Jean Baudrillard - eine Art visueller Doppelgänger von Tatort Kommissar Max Palu - einen grundlegenden Wandel des Konzepts der repräsentativen Demokratie diagnostiziert. Im heutigen politischen System repräsentieren die Parteien und Politiker demnach nicht mehr den Willen der Wähler, sondern nur noch sich selbst. Die Wähler wiederum wollen auch gar nicht repräsentiert werden. Sie erwarten nicht mehr und nicht weniger als ein gut inszeniertes, spannend-unterhaltsames Bühnenspiel.

Da wundert es nicht, dass die Wahlplakate der großen Parteien seit langem nur noch drei Informationen enthalten: ein Foto des Kandidaten, seinen Namen und den Namen seiner Partei. Der Wahlkampf ähnelt immer mehr der Stierkampfwerbung in spanischen Kleinstädten. Das politische Programm der Parteien erfährt man, wenn überhaupt, nur durch den Wahlomat, mit dem die Bundeszentrale für politische Bildung mehr schlecht als recht versucht, ihrem Namen und gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden. Aber die Parteiprogramme sind ja auch nicht mehr wichtig in dieser modernen Form der demokratischen Repräsentation, in der das Volk in freien Wahlen eine Schauspielertruppe zusammenstellt, die dann vier Jahre lang eine wilde Mischung aus Arthur Schnitzlers "Reigen" und Becketts "Warten auf Godot" aufführt.

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6.9.06

besserwissen als beruf

In weiten Teilen der Welt gelten die Deutschen als Besserwisser. Zu Unrecht. Denn während der typische Besserwisser meint, alles besser zu wissen, weiß der Deutsche, dass er es besser weiß. Im Gegensatz zum Besserwisser, der zu jedem beliebigen Thema eine Antwort parat hat, sie laut und offensiv vertritt und keine anderen Antworten gelten lässt, macht sich der Deutsche still und heimlich zum Experten in einer kleinen und klar abgegrenzten Wissensnische. Dort kann er dann jahrelang konkurrenzlos brillieren.

So kommt es, dass der Besserwisser in Wirklichkeit gerne all das wüsste, was er sagt, während der deutsche Nischenexperte gerne einmal all das sagen würde, was er weiß. Aber niemand fragt ihn. Sein Wissen bleibt ungenutzt. Nur der engste Familien- und Bekanntenkreis muss wohl oder übel als Publikum herhalten.

Doch manchmal geschehen auch heute noch Wunder und der belesene Einsiedler wird von einem eifrigen Expertensucher eines großen deutschen Nachrichtenmagazins entdeckt. Dann kommt es zu einer eigentümlichen Metamorphose. Innerhalb kürzester Zeit macht der Privatgelehrte sein Besserwissen zum Beruf. Acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche wird die Welt mit pedantischer Genauigkeit über jeden Winkel seines Wissensgebiets aufgeklärt. Kein noch so ermüdendes Detail wird ausgelassen. Und wenn es nichts mehr zu sagen gibt, dann beginnt der Pedant, denn so heißt das deutsche Gegenstück zum Besserwisser, eben wieder von vorn.

Wer einmal die Spiegel-Kolumne Zwiebelfisch gelesen hat, weiß dass das stimmt.

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5.9.06

spiegelkabinett

"Berlin (jwd) - Nach tagelangem Streit haben sich die Spitzen der Koalition heute auf einen Arbeitseinsatz für Hartz-IV-Empfänger geeinigt. Demnach sollen Langzeitarbeitslose künftig ihren Mitmenschen einen Spiegel vorhalten. Bis zu acht Stunden täglich sollen Empfänger von Arbeitslosengeld II mit großen, an Bauch und Rücken befestigten Spiegeln in Fußgängerzonen und belebten Stadtzentren auf und abgehen. Ziel dieser ungewöhnlichen Maßnahme, so Regierungssprecher Wilhelm, sei es, die Deutschen mit ihrem eigenen Ich zu konfrontieren und sie dadurch zu einer kritischeren Form der Selbstbeobachtung anzuregen. Nur so könne die in Jahrzehnten sozialer Marktwirtschaft oder gar sozialistischer Planwirtschaft verloren gegangene Eigenverantwortung der Bürger wieder hergestellt werden.

"Wir brauchen mehr individuelle Eigenverantwortung" sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des Spitzengesprächs der Presse. "Die Deutschen müssen lernen, wieder etwas aus sich zu machen. Dies betrifft ein gepflegtes Äußeres, gute Manieren und ein elegantes Auftreten ebenso wie den festen Willen jedes Einzelnen, im Beruf sein Bestes zu geben und dafür auch mal Risiken einzugehen". Die Regierung, so die Kanzlerin, müsse ein deutliches Zeichen gegen die sich ausbreitende Nörgelei, Mutlosigkeit und Selbstaufgabe setzen. Deutsche Frauen und Männer seinen nicht grundsätzlich weniger elegant als ihre französischen oder italienischen Nachbarn. Sie seien prinzipiell auch in der Lage zu lächeln oder sich an den vielen kleinen Wundern des Alltags zu erfreuen. Und Fleiß, Verlässlichkeit sowie der Mut zum unternehmerischen Risiko seien vor gar nicht allzu langer Zeit sogar typisch deutsche Tugenden gewesen. Der Blick in den Spiegel, der in vielen anderen Ländern schon längst zur täglichen Routine gehört, solle auch den Deutschen das Vertrauen in die eigene Stärke zurückgeben.

Bei den Oppositionsparteien stieß die Entscheidung auf breite Zustimmung. Ein Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen betonte allerdings, dass das Programm auf keinen Fall zu einem erhöhten Autoverkehrsaufkommen führen dürfe. Die Regierung müsse gewährleisten, dass die Arbeitslosen mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln in die Fußgängerzonen kämen. Die FDP machte deutlich, dass sie der Maßnahme nur zustimmen werde, wenn zu ihrer Finanzierung keine weiteren Steuererhöhungen nötig seien. Lediglich die Linke kritisierte den Kabinettsbeschluss als stümperhaft, ausbeuterisch und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Statt Arbeitslose zu diskriminierender Zwangsarbeit zu verdonnern solle die Regierung lieber dafür sorgen, dass die Unternehmen ihrer moralischen Pflicht nachkommen, ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen. Einhellig begrüßt wurde der Beschluss vom Bundesverband Flachglas und dem Bundesverband des deutschen Textileinzelhandels. Alleine im Glasergewerbe sei kurzfristig mit rund 25000 neuen Arbeitsplätzen zu rechnen. Allerdings müsse die Regierung gewährleisten, dass keine billigen asiatischen Produkte beschafft würden. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen hingegen warnte, dass die ständige Konfrontation mit der eigenen Unzulänglichkeit bei den Bürgern auch zu einer sich selbst verstärkenden negativen Feedbackschleife führen könne. Insbesondere bei depressiven Menschen führten negative Hinweise zu ihrer Person regelmäßig zu einer Bestätigung und Verfestigung des ohnehin schon schlechten Selbstbildes, was im schlimmsten Fall zu einer vollständigen Isolierung der Person führen könne. Die Couch des Psychoanalytikers, so eine Sprecherin des Verbandes, sei durch wandernde Spiegel eben nicht zu ersetzen.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kündigte ein umfassende Prüfung der voraussichtlichen Arbeitsbedingungen der ALG-II-Empfänger an. Insbesondere müsse die Bruchsicherheit der Spiegel gewährleistet sein. Weiterhin müssten nach ersten Einschätzungen des Amtes ausreichend Sitzgelegenheiten in den Stadtzentren für die vorgeschriebenen Ruhepausen bereitgestellt werden. Eine Stellungnahme des Bundesbeauftragten für Datenschutz lag bis Redaktionsschluss nicht vor. Mit einer Stellungnahme der Gewerkschaften ist aufgrund eines verlängerten Wochenendes erst im Laufe des morgigen Tages zu rechnen."
[Quelle: La Deutsche Vita - Zeitung für Deutschlandfragen; weitere Berichte hier, hier, hier, hier und hier]

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4.9.06

introspektion

"Der Deutsche Bundestag verfügt über die größte Sammlung politischer Karikaturen in Europa".
[Pressemitteilung des Deutschen Bundestages]

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"Die Politikerklasse hat (...) keinen spezifischen Charakter mehr. (...) Es ist nicht mehr wichtig, repräsentativ zu sein, sondern angeschlossen und 'auf Sendung' zu sein".
[Jean Baudrillard über Angela Merkels ARD-Sommerinterview]

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3.9.06

stoiberism

"Wir sehen jetzt angesichts der internationalen Herausforderung, auch der Erwartungen, die an Europa gerichtet werden, was den Weltfrieden anbelangt, dass wir da auf Jahre jetzt betrachtet, ich nehme einen Zehnjahreszeitraum ins Visier, dass wir da sicherlich im Zweifelsfalle mehr tun müssen".
[Angela Merkel im Sommerinterview der ARD]

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