30.11.06

der deutsche film macht süchtig

Deutsche Filme machen süchtig. Allerdings nicht so, wie es die Filmemacher gerne hätten. Weil in deutschen Film- und Fernsehproduktionen mehr als doppelt so oft geraucht wird wie in ausländischen Filmen, stellen sie nach Ansicht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung einen "Risikofaktor für den Beginn des Rauchens bei Kindern und Jugendlichen" dar. Tabakkonsum "sei kein wertfreies dramaturgisches Mittel, sondern ein Vorbild für Kinder und Jugendliche, das zur Nachahmung verleitet". Angesichts einer derartigen Bedrohung darf sich die Drogenbeauftragte natürlich nicht länger zurückhalten und wirft sich todesmutig zwischen unsere wehrlose Jugend und die mörderischen Zelluloid-Glimmstengel:
„Ich möchte eine Diskussion zwischen Gesundheitswissenschaftlern und Medienfachleuchten in Gang bringen, um zusammen zu erörtern, wie die Häufigkeit des Rauchens im deutschen Fernsehen und deutschen Kinoproduktionen gesenkt werden kann.“
Eine Diskussion ums Rauchen in Gang bringen ... Gemeinsam das Problem erörtern ... Wenn man bedenkt, dass der Kulturstaatsminister
eine Tür weiter gerade 60 Millionen Euro an genau diese jugendgefährdenen Filmproduktionen verteilt, ohne irgendeine Bedingung hinsichtlich des Tabakkonsums am Dreh zu stellen, dann klingt das ziemlich stark nach Scheinaktivität.

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29.11.06

kunst und kommerz im berliner hauptbahnhof

Sind Architekten eigentlich die einzigen, die gut bezahlte Dienstleistungen zum Kunstwerk erklären dürfen und ihren Auftraggebern dann per Gericht vorschreiben können, was diese mit ihrem Eigentum machen dürfen und was nicht? Wie wäre es, wenn Zahnärzte in Zukunft bei jeder Veränderung des von ihnen angefertigten Zahnersatzes vor Gericht klagen würden? Oder wenn Friseure ihren Kunden verbieten würden, eigenmächtig die Haare zu färben ... jedenfalls ohne vorherige kostenpflichtige "Beratung" durch den Urheber dieses "Kunstwerks"? Wo genau liegt eigentlich der Unterschied zwischen Architekten und anderen gestalterisch tätigen Dienstleistern, der eine derart absurde Auslegung des Urheberrechts zulässt? Und woran liegt es, dass die Kommentatoren diesen Gerichtsentscheid bisher durchweg begrüßen?

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nachbessern 2.0

"Nachbessern" wird mehr und mehr zum zentralen Evolutionsprinzip des politischen Systems. Spätestens die rot-grüne Bundesregierung mit ihrem kategorischen Dreisatz "Entscheiden - Abwarten - Nachbessern" hat dies sichtbar gemacht. Während sich das Nachbessern bisher allerdings auf inhaltliche Fragen richtete, es also darum ging, unwirksame Gesetze wirksam (oder aber wirksame Gesetze unwirksam) zu machen, nimmt der Inkrementalismus nun eine neue, kosmetische, Dimension an. Nicht die umstrittenen gesetzlichen Regelungen sollen geändert werden, sondern einzig und allein ihr Name. Aktuelles Beispiel: Die Hartz-Reformen sollen umbenannt werden, weil ihr Namensgeber sich nach Ansicht einiger Politiker "so unmöglich gemacht [hat], dass sein Name nicht mehr für politische Gesetze taugt" (spon). Fragt sich nur, wer heute noch bereit ist, seinen Namen für die unbeliebte arbeitsmarktpolitische Reform herzugeben.

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27.11.06

kein genuss ohne reue

Wenn ein Deutscher sich etwas gönnt, dann lebt er "wie Gott in Frankreich". Uneingeschränktes Amüsement ist unseren kollektiven Moralvorstellungen demnach gleich doppelt fremd. "Kein Genuss ohne Reue", so könnte man die Essenz des "deutsche Vita" umschreiben. Dazu serviert das Finanzministerium heute die passende Pressemitteilung mit dem spielerischen Titel:
"Steuerhinterziehung beim Kaffeegenuss"
[mehr im Finanzministerium]

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26.11.06

das paradox der deutschen gastlichkeit

"Wenn man seine Kollegen zu einem Umtrunk bei sich zu Hause einlädt, darf man sie dann darauf hinweisen, am Eingang doch bitte die Schuhe auszuziehen?"
fragt Zeit-Leserin Corinna Renner und bringt damit, besser als jeder gelehrte Essay, den inhärenten Widerspruch des Begriffspaars "deutsche Gastlichkeit" auf den Punkt.

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25.11.06

deutschland in zahlen

Zahlen lügen nicht. Aber es gibt so viele von ihnen, dass jede beliebige Auswahl Wahrheit und Lüge zugleich ist. Ein paar deutsche Zahlen hat Markus Franken jetzt für die Zeitschrift Das Parlament zusammengetragen. Hier ist ein Auszug:
  • Theaterbesucher: 20.200.000
  • Bundesligabesucher: 12.415.000
  • Geschlachtete Schweine: 47.852.000
  • Schweine, deren Fleisch teilweise ungenießbar war: 10.142.204
  • Zeitaufwand wöchentlich pro Kopf:
  • fürs Bücherlesen 50 Minuten
  • fürs Fernsehen 794 Minuten
  • Auswanderer (2005): 144.000
  • Deutsche Rückkehrer (2005): 128.051
  • Männliche Deutsche: 40.354.000
  • Weibliche Deutsche: 42.147.000
  • Katzen: 7.600.000
  • Elektroniker 35.892
  • Freie Künstler: 35.000
  • Polizisten: 264.000
  • Straftäter 2004: 775.802
[mehr hier]

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24.11.06

virtuelle politik

Irgendwann in den 60er Jahren hat der amerikanische Politologe Murray Edelmann gezeigt, dass Politiker die Lösung von Problemen oft nur simulierieren statt die Probleme wirklich zu lösen. Politik wird zum Ritual. Es geht darum, eine politische Entscheidung möglichst medienwirksam zu inszenieren. Ob die Politik dann auch Wirkung zeigt, ist eher unwichtig. Wie immer wenn der Weg zum Ziel wird, ist das Ziel irgendwann weg. Die Politik inszeniert ein Abziehbild ihrer selbst und das Publikum klatscht oder protestiert. Wenn mehr Wähler klatschen als protestieren, war das Spiel erfolgreich.

Dass Edelmann und andere diesen Mechanismus aufgedeckt haben, hat nicht viel geholfen. Im Zeitalter der Massenmedien ist Aufklärung nicht viel mehr als ein willkommener Anlass zum pompösen coming out: "Ich bin wie ich bin, und das ist auch gut so". Beichte statt Besserung, and the band played on. Heute fällt symbolisches Handeln höchstens dann auf, wenn bewusst darauf verzichtet wird.

Warum schreibe ich das? Weil der politische Umgang mit dem Amoklauf von Emsdetten genau diesem Muster der symbolischen Politik entspricht. Ein extrem vielschichtiges Problem wird auf eine für das politische System leicht handhabbare Ja/Nein-Entscheidung reduziert. Als Ursache des Amoklaufs werden martialische Computerspiele ausgemacht. Die logische Konsequenz ist dann ein Verbot solcher "Killerspiele". Ob das Problem damit gelöst wird oder nicht, spielt erstmal keine Rolle. Dafür interessiert umso mehr, ob unser Grundgesetz ein solches Verbot von Computerspielen überhaupt zulässt, ob eine schnelle symbolische Reaktion auf den Amoklauf also überhaupt möglich ist. Es ist daher kein Wunder, dass der wissenschaftliche Dienst des Bundestages schon drei Tage nach der Tat ein entsprechendes Rechtsgutachten veröffentlicht (via). Inhalt des Gutachtens: Die Regierung darf Killerspiele verbieten.

Die Voraussetzungen für symbolisches Handeln wären damit geschaffen. Ob die offensichtlichen Probleme unseres Bildungs- und Erziehungssystems damit gelöst werden können, ist zweitrangig. Hauptsache ist, dass die Regierung Entschlossenheit, Tatkraft und Handlungsfähigkeit simulieren darf.

P.S.: Eine neue, in der politikwissenschaft noch gar nicht richtig reflektierte Dimension der symbolischen Politik ist übrigens dann erreicht, wenn symbolisches Handeln von langer Hand geplant wird. In gewisser Weise ist das hier der Fall. Das Ziel, Killerspiele zu verbieten, steht seit über einem Jahr im Koalitionsvertrag von CDU und SPD (pdf, S. 105) und auch das jetzt veröffentlichte Rechtsgutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags wurde schon im August 2006 erstellt. Merke: auch politisches Scheinhandeln will gut vorbereitet sein.

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deutschland, ein sommermärchen

"Deutschland. Was für ein Land! Die nette Serviererin trägt Cafelatte nach draußen, wo es früher nur Kännchen gab. Sie macht es gern, es ist ihr Minijob. Das Klima erlaubt es draußen immer länger. Dafür sind wir lange Jahre extra viel Auto gefahren; nun genießen wir die globale Wärme. Es geht aufwärts".
[weiterlesen]

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23.11.06

heilige kühe

Bundespräsident Horst Köhler bringt Niklas Luhmann gegen die wohlfahrtsstaatlichen Launen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers in Stellung:
"Der Staat wird (...) für immer mehr Interessenbefriedigung und für große Bereiche des Alltags zuständig, in denen er nichts befehlen, sondern nur mit Geld und guten Worten auf seine Bürger einwirken kann. Das hat die Lobby der organisierten Partikularinteressen stark gemacht, die möglichst viel für ihre Klientel herausholen will und der es gelang, sich intensiv in staatliche Entscheidungen einzuschalten.

So haben alle jahrzehntelang fleißig mitgemacht, obwohl eigentlich jeder hätte wissen können, was Niklas Luhmann einmal so formuliert hat: "Alles in allem gleicht der Wohlfahrtsstaat dem Versuch, die Kühe aufzublasen, um mehr Milch zu bekommen." Diese Illusion mochte verständlich sein, solange es Jahr um Jahr mehr zu verteilen gab und solange noch nicht Milliarden von Menschen in Osteuropa und Asien mit Fleiß und Ideen um ihren Anteil am weltweiten Wohlstand konkurrieren durften. Aber inzwischen ist es endgültig selbstzerstörerisch, immer weiter den Blasebalg zu bedienen" [Quelle].
Während sich die CDU über so viel Wohlfahrtsstaatkritik empört, schimpft die SPD auf die "Rüttgers Sauerei". Verkehrte Welt oder nur ein Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheitspartei?

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17.11.06

deutsche kleiderordnung

Wolf Lepenies erklärt in seinem neuesten Buch "Kultur und Politik", warum Ausländer, die in Deutschland leben, so schnell unangenehme deutsche Verhaltensweisen übernehmen. Dazu unterscheidet er zwischen einem eher stabilen "Nationalcharakter" und einer häufiger mal wechselnden "Haltung":
Der Nationalcharakter lässt sich beim Menschen mit der Haut vergleichen, die man nicht abstreifen kann; eine Haltung ähnelt dagegen einem Lieblingskleid, das man besonders gerne und oft trägt, aber nicht immer tragen kann oder tragen will. Bei einem Ausländer kann man nicht davon sprechen, dass er einen "deutschen Nationalcharakter" hat; eine "deutsche Haltung" einnehmen kann er durchaus".
Fragt sich nur, was Italiener oder Franzosen dazu bringt, schon nach kurzer Zeit in unserem Land ihr elegantes nationales Lieblingskleid gegen triste deutsche Textilien zu tauschen. Auf die Frage weiß sicher auch Lepenies keine Antwort.

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16.11.06

bulimie und schlanker staat

Damit unser "schlanker" Staat trotz Deregulierung, Bürokratieabbau und Aufgabenkritik nicht zu sehr vom Fleische fällt, hält die Politik regelmäßig nach neuen Aufgabenfeldern Ausschau. Neuestes Steckenpferd: Die deutsche Popmusik muss international wettbewerbsfähig gemacht werden.
"Die Bundesregierung und Vertreter der Musikwirtschaft sind sich darin einig, dass die Rahmenbedingungen für die deutsche Popmusik hier und im Ausland verbessert werden müssen. [...] In einer gemeinsamen Initiative des Bundes und der Musikbranche sollen deshalb an der Schnittstelle zwischen Kreativität und Wirtschaft modellhafte Projekte entwickelt und realisiert werden" [Quelle].
Eine Million Euro stehen im Bundeshaushalt 2007 für solche modellhaften Projekte "an der Schnittstelle zwischen Kreativität und Wirtschaft" bereit. Und warum das ganze? Weil, so der Kulturstaatsminister, "Deutschland hier in einem harten Wettbewerb steht". Aha. Wettbewerb. Das darf natürlich nicht sein. Da ist die Politik gefordert und sie kommt ihrem selbstinitiierten Hilferuf auch gleich bereitwillig nach.

Nachdem der Staat bisher versucht hat, durch Gesetze und bürokratische Kontrolle die negativen Auswirkungen von Markt und Wettbewerb auszugleichen
, ist er inzwischen - ganz unbürokratisch - dazu übergegangen, den Wettbewerb selbst abzuschaffen.

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14.11.06

stoiberismen

Ein Stoiberismus [engl. stoiberism] ist der erfolgreiche Versuch, die ohnehin schon komplexe Wirklichkeit mit sprachlichen Mitteln vollends durcheinander zu bringen. Ursprünglich nach ihrem prominentesten Vertreter, dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber benannt, gehört diese literarische Gattung inzwischen zum Standardrepertoire fast jedes deutschen Politikers, nicht zuletzt auch der Bundeskanzlerin. So räsoniert Angela Merkel in einer kürzlich auf der internationalen Konferenz "urban age" gehaltenen Rede :
"Es ist immer besser, sich als eine Metropole zu fühlen, als wenn verschiedene Teile von Metropolen sich besser miteinander verstehen als die Metropolen untereinander."
Auch sonst ist die Rede in ihrer nichtssagenden und unverbindlichen Floskelhaftigkeit ein schönes Beispiel für die Baudrillardsche These, dass die repräsentative Demokratie immer mehr zu einer sich selbst repräsentierenden Demokratie Veranstaltung wird.

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13.11.06

das familienbild der bundesregierung

"Reproduktionsfunktion: Die grundlegende Aufgabe der Familie ist der Generationenerhalt. Die Familie sorgt für den zahlenmäßigen Erhalt der Bevölkerung".
[Aus der Studie ""Wachstumseffekte einer bevölkerungsorientierten Familienpolitik" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (pdf)]

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9.11.06

unterschichtgeschichten

In der Zeit wächst zusammen, was zusammen gehört. Harald Martenstein mischt sich simultan in zwei aktuelle deutsche Debatten ein und zeigt, wie man mit einem Schlag den Verfall der deutschen Sprache stoppen und das Unterschichtproblem lösen kann. Sein Vorschlag: Der Begriff Unterschicht wird als Germanizismus ins Englische exportiert und die Unterschicht wird durch Zwangsabstieg der Oberschicht aufgemischt. Wie das funktioniert?
"Sozialer Abstieg macht die Leute fast immer netter und interessanter. Nur beim Abstieg von der Mittel- in die Unterschicht funktioniert es nicht. Wenn aber die Oberschicht direkt in die Unterschicht absteigen würde, dann hätten wir in Deutschland auf einen Schlag 10.000 nette, interessante Menschen mehr".
Natürlich kann man den Gedanken noch weiter spinnen. Die tiefergelegte Oberschicht würde zu einer Anhebung der Unterschicht führen. Dies würde auch der Sprache nicht lange verborgen bleiben, die dann - in Analogie zu den euphemistischen Hierarchiestufenbezeichnungen im öffentlichen Dienst - den Begriff "höhere Unterschicht" hervorbringen könnte. Allerdings dürfte das dabei entstehende soziale und sprachliche Vakuum unterhalb der "höheren Unterschicht" nicht lange vakant bleiben. Medien und Wissenschaft würden mit ziemlicher Sicherheit im bewährten Ping-Pong Verfahren eine neue gesellschaftliche Gruppe identifizieren, die dann den Platz der sprachlich ins Englische exportierten und sozial hochgestuften ehemaligen Unterschicht einnehmen könnte. Den Namen dieser neuen gesellschaftlichen Gruppierung könnte man vielleicht aus dem Englischen importieren, wo unsere ehemalige Unterschicht - wie Martenstein prophezeit - dann schon längst Karriere gemacht hätte: "Oh, Darling, I feel so unterschicht today".

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8.11.06

deutsche nachbarn

versteckte aphorismen

Das Beste am Werk des Soziologen Niklas Luhmann sind seine Aphorismen. Leider hat Luhmann sie nie Aphorismen genannt und - damit auch ja niemand sie als solche erkennt - vorsorglich noch eine undurchdringliche Bleiwüste abstrakter Theorie um sie herum gestrickt. Und da in der Wissenschaft Form meist wichtiger ist als Substanz, gilt Luhmann heute in Deutschland als komplizierter Theoretiker und nicht als brillianter Aphoristiker. Wer ein Luhmann-Buch in die Hand nimmt, ist bereits auf niveauvolle Langeweile eingestellt und nicht auf unberechenbaren Esprit.

Deshalb gibt es heute, fast 10 Jahre nach seinem Tod, auch immer noch kein Buch, das die schönsten Luhmannschen Gedankensplitter U-Bahn-tauglich zusammenfasst. Das ist schade. Denn die sorgfältig verstreuten ironischen Pointen seiner sonst eher ermüdenden und immergleichen Bandwurmtheorie bilden die vielleicht einzige Brücke zwischen unserer Lebenswelt und Luhmanns Ideen. Sie sind der einzige Zugang zu einem ansonsten verschlossenen und geradezu kafkaesken Theoriegebäude, an dessen Anfang und Ende unhinterfragbare Glaubenssätze stehen, denen man als Leser nur passiv-resigniert zustimmen kann - oder eben nicht. Letztendlich machen erst Luhmanns kurze und aphoristische Ausflüge in die Realität die Zustimmung zu seiner Theorie möglich.

Wenn man beispielsweise Artikel 1, Nr. 2 des gerade in den Bundestag eingebrachten "Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes" (pdf) liest* und dazu den lakonischen Satz
"Das Recht dient der Fortsetzung der Kommunikation mit anderen Mitteln"
aus Luhmanns Buch "Soziale Systeme" im Ohr hat, dann erst kann man sich ein lebendiges Bild davon machen, was ein selbstreferentielles System ist und wie sich ein solches System aus sich selbst heraus, ohne Mitwirkung seiner Umwelt immer wieder neu erschafft. Aber das zu erklären wäre so langweilig, dass wir Luhmann dankbar sein sollten, dass er uns diese Arbeit abgenommen hat.

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* "Das Weingesetz vom 8. Juli 1994 in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Mai 2001 (BGBl. I S. 985), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom … (BGBl. I S. …), wird wie folgt geändert:
[...]
In § 3 Abs. 2 Satz 1, § 3a Abs. 2, § 4 Abs. 2, § 7 Abs. 2 und 3, § 8a Abs. 2 Satz 1 und 2,§ 8b, § 12 Abs. 1 und 2, § 13 Abs. 3, § 14, § 15, § 16 Abs. 1a, 2 Satz 1, Abs. 3 bis 5, § 17 Abs. 2, § 18 Abs. 4 Satz 1, § 21 Abs. 1 und 2, § 23 Abs. 3, § 24 Abs. 2 bis 4, § 26 Abs. 3, § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 3, § 29 Abs. 1, § 30, § 31 Abs. 4, § 33 Abs. 1 und 1a Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 35 Abs. 2, § 36 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 7 Buchstabe a, § 41 Satz 2, § 42 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2, § 45 Satz 2, § 47 Satz 4, § 51, § 53 Abs. 2 und 4, § 55, § 57 Abs. 3 und § 57a Abs. 1 werden jeweils die Wörter „Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft“ durch die Wörter „Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“ ersetzt."

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sicherheits-abc

Wenn zwei typisch deutsche Eigenschaften aufeinander treffen, nämlich ein übertriebenes Sicherheitsdenken und die Zwangsvorstellung, jeden noch so belanglosen Beitrag systematisieren zu müssen, dann entsteht ein Sicherheits-ABC.

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kein wunder

"Wo immer ich hinkomme, hat sich das Deutschlandbild in diesem Jahr wesentlich verändert."
[Angela Merkel beim 10. Berliner Tourismusgipfel]

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6.11.06

"ich nicht"

Unzuverlässigen Quellen zufolge hat Jürgen Habermas mehrere Zeilen der vor kurzem erschienenen Autobiographie des Historikers Joachim Fest aufgegessen. Freunde des Philosophen gaben zu Protokoll, Habermas habe dabei die Worte "ich nicht" gemurmelt. Seit heute ist eine Neuauflage des Buches ohne die verschluckten Passagen im Handel. Die Polizei geht währenddessen anonymen Hinweisen nach, Habermas könne auch hinter dem mysteriösen Verschwinden mehrerer Euro-Scheine stecken.

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5.11.06

beim häuten des zwiebelfischs

In der FAZ portraitiert Claudius Seidl den "Zwiebelfisch" Bastian Sick wie er wirklich ist. Ein Pedant und Besserwisser, der seine Vergangenheit als überemsiger Schlussredakteur einfach nicht ablegen kann:
"Es sind Feiern der Irrelevanz, wenn Sick kolumnenlang Fragen beantwortet, die niemand gestellt hat; wenn er längst verblaßte Floskeln und in Vergessenheit geratene Manierismen noch einmal mit der vollen Strenge der Grammatik konfrontiert. Und wenn er tatsächlich ein paar Seiten lang die Frage diskutiert, ob es „im Mai diesen Jahres“ oder doch „dieses Jahres“ heißen müsse, dann möchte man, absolut umgangssprachlich, nur noch stöhnen: 'Oh Mann, hey, echt, dem seine Probleme möcht ich auch nicht haben!'"

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4.11.06

abmahnpoker

Glaubt man Wikipedia, dann war Poker im 15. Jahrhundert ursprünglich ein altes deutsches Spiel mit dem schönen Namen "Pochen". Irgendwann wurde die Idee - wie so viele andere auch - nach Amerika gebracht und wurde dort weltberühmt. Jetzt kommt die Idee in neuer Form zurück nach Deutschland. Als Abmahnpoker. Was das ist? Menschen, die im Internet über schlechte Erfahrungen mit den Produkten oder Dienstleistungen der Firmen x, y oder z oder die Leistungen der Prominenten q, v oder w berichten, werden abgemahnt. Sie erhalten dann Post von einer Anwaltskanzlei mit der Aufforderung, die entsprechende Aussage zu löschen und nie wieder ähnliches zu behaupten. Andernfalls drohen hohe Geldstrafen. Beigefügt ist eine Anwaltsrechnung, die der Abgemahnte zahlen muss. Während größere Unternehmen solche Abmahnungen ihrer Rechtsabteilung übergeben oder einfach aus der Pornokasse Portokasse bezahlen, sind Privatpersonen schnell abgeschreckt und steigen aus ... wie beim Poker, wenn der Einsatz zu hoch wird. Damit das ursprünglich als Verteidigung gegen unzulässige Unwahrheiten oder Verunglimpfungen gedachte Instrument der Abmahnung nicht in sein Gegenteil umschlägt, gibt es jetzt einen Abmahnblog, in dem auf ungerechtfertigte Einschüchterungs- und Zensurversuche hingewiesen und die größten Pokerfaces einem breiten Publikum vorgestellt werden können.

Die deutsche Sprache hat diese jüngste Karriere des Pokerspiels (d.h. des "Pochens") übrigens lange im Voraus vorhergesehen. Das Deutsche Rechtswörterbuch aus dem 19. Jahrhundert definiert den Begriff "Poch" als "Grobheit, anmaßendes Auftreten, Bedrohung, Zwang". Den "Pocher" beschreibt es als "auftrumpfende, aufbrausende Person".

Vielleicht ist es ja nicht ganz untypisch für uns Deutsche, wenn wir ausgerechnet die unangenehmen Seiten unserer Erfindungen zur Marktreife bringen.

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3.11.06

wer hat die demokratie geklaut?

Wer kommt eigentlich auf die Idee etwas zu stehlen, das angeblich niemand haben will?

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2.11.06

scheingeld

Der Euro löst sich auf. Jedenfalls die in Deutschland hergestellten Euroscheine. Fast so als hätte der alte Karl Marx das Drehbuch geschrieben, zersetzen sich Banknoten plötzlich und auf mysteriöse Weise ganz von selbst. Vom Geldschein bleibt nur noch der Schein. Und ein bisschen Staub. Die Polizei geht offenbar von einem Erpresser aus. Aber, mal ehrlich, könnte es nicht ebenso gut der Anfang vom längst tot geglaubten Ende des Kapitalismus sein?

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